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Hiob gibt Gott nie auf

Er vertraut darauf, dass Gott sein Fragen aushält. Gedanken zum Predigttext am 11. Sonntag nach Trinitatis. Von Martin Ost, Dekan im Ruhestand in Berlin.

Predigttext am 11. Sonntag nach Trinitatis: Hiob 23,1–17

Hiob antwortete und sprach: Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss. Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seiner Stätte kommen könnte! So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde. Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde achthaben auf mich. Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich entrinnen meinem Richter! Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht. Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht. Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold. Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir. Doch er hat’s beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht’s, wie er will. Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn. Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm. Gott ist’s, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat; denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt.

Von Martin Ost „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen“ – „Überall: Gott!“, singt der 139. Psalm. Hiob stimmt das Gegen-Lied an: „Nirgendwo – Gott“. So müssen die Freunde Fragen ertragen, die Gott hören sollte. Sie finden keine Antworten, die Hiob zufriedenstellen.Wie die Freunde fühlte ich mich manchmal, wenn ein Mensch mir (und Gott?) sein Leben ausgeschüttet, vorgeworfen hat. So viel Tod und Krankheit und Unglück – wie hält ein Mensch, wie hält ein Glaube das aus?, habe ich gedacht. Müsste ich jetzt nicht Glauben wecken? Ist das nicht mein Beruf? Aber was soll ich sagen? Indem mir nichts Rechtes einfällt, steht mein Glaube infrage: Kann er mich tragen, wenn ich hier keine Antwort finde?Die Freunde suchen verzweifelt Antworten auf Hiobs Fragen. Sie werden immer gereizter, greifen Hiob immer persönlicher an, bestreiten ihm zuletzt allen Glauben. Was bliebe von ihrem Glauben, wenn sie verstummten? Sollen sie den 139. Psalm singen: Gott ist überall? Aber der Psalm schwärmt, näher besehen, nicht von Gottesnähe, romantisch wie ein Sonnenuntergang mit Bibelvers, wie wir es auf frommen Bildern manchmal sehen. Die Nähe Gottes ist hier unheimlich, Gott unentrinnbar.

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