Tunis. "Allah Akbar" (Gott ist groß) schallt es vielstimmig über den Innenhof des tunesischen Musik-Instituts Rachidia in der Altstadt von Tunis. Doch der Gebetsruf bricht mittendrin ab. "Hier, bei der letzten Silbe, da müsst ihr eine Stufe runtergehen", korrigiert Fethi Zghonda die Männer, die vor ihm in einem kleinen Unterrichtsraum sitzen. Ein gutes Dutzend Muezzins ist an diesem Vormittag zur Fortbildung gekommen. Bei dem 69-jährigen Musikwissenschaftler und Dirigenten Zghonda lernen sie, den Stil ihres Gebetsrufs zu verbessern.
Die Idee, den Muezzins Gesangsunterricht zu geben, kam Hedi Mouhli, dem Leiter des Instituts Rachidia, als er zum Gebet in die Moschee um die Ecke ging. "Deren Muezzin hat eine schöne Stimme, singt in tunesischem Stil und fehlerfrei." Doch das sei leider längst nicht bei allen der Fall. Der tunesische Religionsminister Ahmed Adhoum habe daher die Idee der Gesangsstunden begeistert aufgegriffen. Seit Ende März läuft der erste Kurs in Tunis. Weitere sollen in anderen Landesteilen folgen.
Gebetsrufer im Nebenjob
"Ich habe früher einfach spontan zum Gebet gerufen, wie es mir gefallen hat", erzählt Abdelmounem Othmani, Muezzin einer Moschee in Denden, einem Vorort im Westen der Hauptstadt Tunis. Der Gebetsruf sei zwar verständlich gewesen, aber wahrscheinlich nicht besonders schön anzuhören, mutmaßt er heute.
Weit über 90 Prozent der elf Millionen Tunesier sind sunnitische Muslime. Die überwiegende Mehrheit von ihnen gehört der malikitischen Rechtsschule an, die vor allem in Nord- und Westafrika verbreitet ist und als relativ liberal und tolerant gilt.
Die Gebetsrufer in den mehr als 5.000 Moscheen Tunesiens sind in der Regel Laien, die nur als Nebenjob gegen eine kleine Aufwandsentschädigung die Gläubigen zu den fünf täglichen Gebeten rufen. Eine Gesangsausbildung hat keiner von ihnen. "Der Gebetsruf transportiert eine Botschaft der Einheit Gottes, eine Lobpreisung des Propheten und einen Aufruf zur Arbeit. Aber wenn man morgens um vier eine schiefe Stimme hört, dann kommt diese Botschaft nicht an", sagt Mouhli.