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Heimat in der Fremde

Der Seemannsclub „Welcome“ in Bremerhaven empfängt jährlich rund 30 000 Gäste. Sie erholen sich dort für ein paar Stunden von ihrer Arbeit und nehmen Kontakt zu ihren Familien und Freunden auf. Ein Besuch

Im Raum der Stille des Seemanns­clubs „Welcome“ in Bremerhaven liegt ein dickes Buch. Seeleute können dort ihre Gedanken an Gott oder an andere höhere Mächte hineinschreiben, wovon reger Gebrauch gemacht wird. Ein Seemann hat auf englisch geschrieben: „Danke für die gute Reise an Bord, danke für den herzlichen Empfang der Menschen hier. Mögest Du uns immer segnen und uns führen.“ Ein typischer Eintrag, wie er ähnlich auf vielen Seiten zu lesen ist. „Die meisten unserer Gäste bedanken sich bei Gott, dass er sie beschützt und seine Hand über ihre Familien hält“, sagt Seemannsdiakonin Antje Zeller, die den Club zusammen mit ihrem Kollegen Thomas Reinold leitet.

Statt Telefonzellen gibt es jetzt Fahrräder

Seit fast 30 Jahren ist die 53-Jährige schon bei der Deutschen Seemannsmission Bremerhaven beschäftigt, zu der neben dem „Welcome“ auch das Seemannsheim mit seiner Zimmervermietung und Schiffsbesuche gehören. In dieser Zeit hat sich die christlich-soziale Einrichtung immer wieder gewandelt. „Wir müssen uns immer an den Gegebenheiten des Hafens ausrichten, der sich entwickelt, und natürlich an den Bedürfnissen unserer Gäste“, erläutert Zeller. Zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Die früher zur Kommunikation mit der Heimat dringend benötigten Telefonzellen gibt es seit ein paar Monaten nicht mehr, weil sie in Zeiten des Mobilfunks nur noch ungenutzt herumstanden. Neu eingeführt wurden dagegen vier Fahrräder, die sich Besucher nun kostenlos ausleihen können, um ihren Bewegungsradius in der Stadt zu erhöhen.
Was sich in all den Jahren nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass der Club eine wichtige Anlaufstelle für Seeleute aus aller Welt ist, deren Schiffe Bremerhaven anlaufen. Rund 30 000 von ihnen nutzen das Angebot der Seemannsmission jedes Jahr, an manchen Tagen gehen bis zu 200 Männer und (deutlich seltener) Frauen in den Räumlichkeiten an der Nordschleuse ein und aus. „Wenn es uns nicht gäbe, hätten sie nichts, wo sie hingehen könnten“, meint Zeller. „Wir versuchen, ihnen hier ein Stück Heimat zu sein.“
So mancher Gast nimmt gerne die Möglichkeit zum seelsorgerischen Gespräch in Anspruch, um von Problemen bei der Arbeit oder von familiären Sorgen zu erzählen. Dann und wann ergibt sich auch ein Austausch über religiöse Fragen. Wer auf einem Schiff den Naturgewalten ausgesetzt sei, gerate manchmal in lebensgefährliche Situationen, sagt Religionspädagogin Antje Zeller. „Es lässt die Menschen tiefsinniger werden, wenn sie die Endlichkeit des Lebens erfahren.“
Die meisten kommen in den Club, um etwas Abstand vom Arbeitsalltag auf dem Schiff zu gewinnen und zu entspannen. Eine Runde Billard spielen, mit anderen plaudern, Besorgungen zu machen – und natürlich mit ihren Lieben in der Heimat zu telefonieren, zu skypen oder zu mailen. „Manche Seeleute kommen mehrere Monate lang kein einziges Mal von ihrem Schiff“, sagt Seemannsdiakon Thomas Reinold. „Da ist ein normales soziales Leben, wie wir es kennen, überhaupt nicht möglich.“ Besonders gefragt ist der Telefonkartenverkauf für Anrufe in die Heimat. Durch Internet und Mobilfunk hat sich die Kommunikation sehr vereinfacht. „Früher war Telefonieren teuer, heute verkaufen wir einem Inder eine Telefonkarte, mit der er für einen Cent pro Minute zuhause anrufen kann.“ Und dann sind da diese Momente, die unter die Haut gehen. So wie gestern: „Da saß ein Seemann in der Ecke und seine dreijährige Tochter hat ihm über Skype ‚Happy Birthday‘ gesungen“, erzählt Reinold. „Da war es ganz still im Raum und so manchem kamen die Tränen.“
Die Seeleute schätzen die Infrastruktur und die herzliche Atmosphäre, die ihnen im „Welcome“ geboten werden. Da ist zum Beispiel Roman Krasutsky aus der Ukraine, der mit dem Containerschiff „MSC Manu“ in Bremerhaven ist und den Club an diesem Tag zum zweiten Mal besucht. „Man kann hier entspannen, das ist an Bord so nicht möglich“, sagt der 22-Jährige.
Als Deckshelfer ist er gerade sechs Monate lang quer durch Europa bis nach Südamerika unterwegs. „Mit 20 allein auf ein Schiff zu gehen, das war schon schwierig“, sagt er rückblickend. „Aber diesmal habe ich nicht mehr so viel Heimweh – man gewöhnt sich daran.“ Den Aufenthalt im Seemannsclub hat Krasutsky unter anderem dafür genutzt, seine Tante in Russland anzurufen: „Die vermisst mich sehr, und im Moment ist das die einzige Möglichkeit, mit ihr in Kontakt zu bleiben.“
Auch dank der vielen positiven Rückmeldungen der Clubbesucher hat es die Seemannsmission Bremerhaven 2014 und 2015 bei der Wahl des internationalen Seeleute-Netzwerks ISWAN (International Seafarers Welfare and Assistance Network) zur weltweit besten Einrichtung für Seeleute auf die Shortlist geschafft. Das Bremer Kollektiv aus Club, Seemannsheim und Bordbesuchsdienst sicherte sich den Titel „Seafarers‘ Centre of the Year“. „Wir bemühen uns, immer freundlich und aufgeschlossen zu sein, und das scheint uns ganz gut zu gelingen“, freut sich Antje Zeller.

Gute Zusammenarbeit mit dem Hafen

Der Club ist an jedem Tag im Jahr geöffnet und kann mit einer guten Erreichbarkeit punkten: Es gibt einen Terminal-Shuttle, der die Seeleute direkt vom Schiff abholt und sie später wieder zurückbringt, sowie einen zusätzlichen Kleinbus der Seemannsmission, der für die weiteren Fahrten in den südlich gelegenen Fischereihafen pendelt. „Die Kooperation mit dem Hafen ist super“, sagt Antje Zeller.
Für Tony Tibbott ist das „Welcome“ in den vergangenen Jahren zu „so etwas wie einer zweiten Heimat“ geworden. Einmal im Monat ist der Waliser, der als Überseelotse zumeist auf großen Containerschiffen im Einsatz ist, zu Besuch in Bremerhaven. Er fühle sich im Club wohl und er nutze die vielen Serviceangebote wie im Internet surfen, internationale Zeitungen lesen und andere Menschen treffen. Nur den Sportplatz nutzt er selten. „In meinem Alter muss man die Dinge etwas ruhiger angehen“, meint der 62-Jährige. Seit Mitte der 1970er Jahre fährt Tibbott schon zur See. „Eigentlich wollte ich das nicht so lange machen , weil ich damals  gerade meine Frau kennengelernt habe. Jetzt sind es 40 Jahre geworden – und wir sind immer noch zusammen.“

www.dsm-bremerhaven.de.