Predigttext
1 Dann wandte sich Jesus seinen Jüngern zu, den Männern und Frauen, und erzählte ihnen folgende Geschichte: „Ein reicher Mann hatte einen Verwalter, der ihn betrog. Als sein Herr davon erfuhr, 2 ließ er ihn rufen und stellte ihn zur Rede: ,Was muss ich von dir hören? Leg die Abrechnung vor, du kannst nicht länger mein Verwalter sein!‘ 3 Da sagte sich der Mann: ,Was soll ich machen, wenn mein Herr mir die Stelle wegnimmt? Für schwere Arbeiten bin ich zu schwach, und zu betteln schäme ich mich. 4 Ich weiß, was ich tun werde: Ich muss mir Freunde verschaffen, die mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich hier entlassen werde.‘ 5 So rief er nacheinander alle zu sich, die bei seinem Herrn Schulden hatten. Er fragte den Ersten: ,Wie viel schuldest du meinem Herrn?‘
6 ,Hundert Fässer Olivenöl‘, war die Antwort. ,Hier ist dein Schuldschein‘, sagte der Verwalter; ,setz dich hin und schreib fünfzig!‘ (…) 8 Jesus, der Herr, lobte den betrügerischen Verwalter wegen seines klugen Vorgehens. Denn in der Tat: Die Menschen dieser Welt sind, wenn es ums Überleben geht, viel klüger als die Menschen des Lichtes.
Wann haben Sie zuletzt Muscheln gesucht?
Austernmuscheln zum Beispiel. Innen: perlmuttfarben, glänzend, glatt, mit einem ganz individuellen, violetten, fingerabdruckgroßen Fleck. Außen: grau, spröde, scharfkantig.
Zwei Facetten, zwei Seiten ein- und derselben Muschel. Ich empfinde diese Facetten anregend und passend zu dem, was auch das Meer charakterisiert: eine vielfältige Ambivalenz: Kommen und Gehen, Geben und Nehmen, sanftes Plätschern und tosendes Brausen.
Die Beschreibung des Menschen, dessen Verhalten im Gleichnis beschrieben wird, beinhaltet ebenfalls Gegensätze. Ungerecht, untreu, aber auch klug sei er. Er nutzt seine bisherige Macht, um Schulden zu verringern, die Menschen bei seinem Arbeitgeber haben. So hofft er, durch die Dankbarkeit dieser Menschen seine künftige Arbeitslosigkeit mit all den dazugehörigen Sorgen abzufedern.
Ein Mensch voller Gegensätze
Bei allem Verständnis bleibt sein Handeln für mich unmoralisch. Er erkauft sich Freunde mit fremdem Geld. Freunde kauft man nicht. Und mit fremdem Geld schon mal gar nicht.
Ich lehne sein Handeln ab und somit auch irgendwie ihn selbst. Aber ein solch einfaches Urteil wird durch das Gleichnis in Frage gestellt. Denn irgendetwas wird ja doch gelobt. Aber was nur? Ich beginne zu überlegen. Klug: Ist das wirklich ein Kompliment? Für was? Vielleicht ist es nur gerecht, den Reichtum zu verteilen, vom Reichen hin zu den Schuldnern. Vielleicht ist es auch bewundernswert, wie entschlossen der Verwalter sich um sein eigenes Wohl und um das Wohl einiger anderer bemüht, anstatt nur das Wohl des Reichen zu schützen.
Ich beginne zu rätseln, zu suchen. Und schließlich ist dies die eigentliche Botschaft des Gleichnisses für mich: Versuche in jedem Menschen, auch in dem, der dir zunächst unmoralisch, seltsam oder verwegen erscheint, Gottes Handeln in der Welt zu erkennen. Auch in denen, die du zunächst ablehnst, kann dir Jesus begegnen. Zu Menschen, zu denen andere auf Distanz gehen, hat Jesus Nähe und Kontakt zugelassen, mehr noch: Zöllner, Ehebrecher, Aussätzige erklärt er zum Vorbild für tiefen Glauben.
Erwarten wir noch etwas von den Menschen, denen wir begegnen, sind wir offen für neue Eindrücke und Sichtweisen?
Innerhalb von Sekunden entscheidet sich oft, ob mir ein Mensch sympathisch ist oder nicht, was ich von ihm halte. Das ist sicherlich ein wichtiges Signal, doch es verdient, überprüft zu werden, denn der erste Eindruck kann täuschen.
Mörder, Dieb, Betrüger, Reicher, Bettler, Behinderter …: Wir bezeichnen manchmal Menschen so, als ob mit einem Wesenszug, einem Teil ihres Lebens alles erfasst wäre. Wie anders klingt es, zu sagen: Ja, du hast eine Behinderung. Du bist ein Mensch mit einer bestimmten Behinderung. Aber du bist nicht „der Behinderte“.
Jesus sagt: Dieser Mann hat trotz seiner Unredlichkeit klug gehandelt.
Beides ist möglich: unredlich sein und klug. Es gibt Texte in der Bibel, die führen dazu, dass wir unser moralisches Urteil über Menschen hinterfragen und mehr als das Vordergründige sehen. Und das ist gut so.