„Roar“ – der erste Brüll-Versuch des kleinen Löwenjungen Simba in „Der König der Löwen“ beeindruckt niemanden. Und auch bei Walt Disney Company glaubte anfangs keiner recht an den Erfolg dieses Zeichentrickfilms. In der fünfjährigen Produktionszeit wurden Drehbuchautoren und Regisseure verschlissen, mehrmals die Story geändert und auch das Genre: vom anfangs geplanten realistisch-dokumentarischen Tierfilm hin zu einem Musical. Die richtige Entscheidung: Schon der Teaser mit der Eröffnungssequenz und dem Song „Circle of Life“ rief begeisterte Publikumsreaktionen hervor. „Der König der Löwen“ wurde zum kommerziell erfolgreichsten klassischen Zeichentrickfilm. Vor 30 Jahren, am 16. November 1994, kam er in die deutschen Kinos.
Das Filmmusical, gedreht unter der Regie von Roger Allers und Rob Minkoff, erlöste weltweit 968 Millionen Dollar. Es folgten unter anderem zwei Kino-Fortsetzungen sowie 2019 ein computeranimiertes fotorealistisches Remake. Und dieses Jahr am 19. Dezember startet als Familien-Weihnachtsfilm das Prequel „Mufasa: Der König der Löwen“.
Eine noch eindrücklichere Erfolgsgeschichte aber sind die weltweiten „Der König der Löwen“-Musicalproduktionen. 1997 am Broadway uraufgeführt, sorgt das Musical mit Schauspielern in Tierkostümen und mit fantasievollen Puppen seit Jahrzehnten weltweit für ausverkaufte Säle, darunter in London, Paris, Johannesburg und, seit 2001, im Theater im Hafen Hamburg.
Für die Filmmusik bekamen Hans Zimmer und Elton John – für den Song „Can You Feel the Love Tonight“ – jeweils einen Oscar. Zimmers eingängiger Soundtrack ist von Mozarts Requiem ebenso inspiriert wie von traditionellen afrikanischen Klängen, die von einem Zulu-Chor vertont wurden.
Die Geschichte: Aufgrund einer Intrige seines arglistigen Onkels Scar gibt der kleine Löwe Simba sich die Schuld am Tod seines Vaters Mufasa, ergreift aus Scham die Flucht, führt eine Art Hippieleben in der Wildnis und muss als Junglöwe sein Reich zurückerobern. Jenseits der familientauglichen Liebesgeschichte zwischen Simba und Löwin Nala, witzigen Nebenfiguren, der eingängigen Musik und der bildgewaltigen Afrika-Kulisse weist das Epos die Tragik eines Shakespeare-Königsdramas auf.
Dabei erntete die zum popkulturellen Phänomen aufgestiegene Tierparabel mit fiesen Hyänen, Affen als Gurus und Antilopen als Futter neben begeisterten auch entsetzte Reaktionen. Die Darstellung der Tier-Hierarchie im Löwenreich wurde von Kritikern als „Führer-Fantasie“ oder als „Raubtierkapitalismus“ bezeichnet. Der Pop-Philosoph Slavoj Zizek liest die Geschichte als Beschreibung des Ödipuskomplex.
Der Mainzer Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger hingegen glaubt nicht, „dass ein großes Publikum den Film als monarchistische Führerphantasie wahrnimmt. Vielmehr geht es emotional gesehen um eine kindliche Odyssee voller Bewährungsproben, Verluste und existenzieller Fragen.“ Die weltweite Beliebtheit des Filmmusicals, das in 32 Sprachen übersetzt wurde, liege an der archetypischen und kulturelle Grenzen überschreitenden Geschichte, sagt Stiglegger.
„Der König der Löwen“ war – obwohl Massenszenen wie die Gnu-Flucht bereits computeranimiert wurden – auch der letzte durchschlagend erfolgreiche Zeichentrickfilm. Der klassische Animationsstil wirke in seiner Dichte und Reduziertheit zeitloser als heutzutage übliche 3-D-Animation, urteilt Stiglegger.
Doch vielleicht liegt der eigentliche Charme des Films auch in der vertrackten Widersprüchlichkeit dieser vermenschlichten Tierwelt, in deren musikalischem Mantra „Circle of Life“ (Kreis des Lebens) das darwinistische Fressen und Gefressenwerden lässig wegerklärt wird: Reißen Löwen ihre bevorzugte Speise Antilopen, dann wird der Löwe selbst, sobald er stirbt, zu Gras, das von der Antilope gefressen wird.
Explizite Fressszenen allerdings gibt es nur in Simbas Hippiephase. Als Kumpel eines Warzenschweins und eines Erdmännchens, beide durchaus fressbar, zieht er ihnen netterweise glibberige Maden vor, was bei kleinen Zuschauenden regelmäßig „Iiihs“ hervorruft. Bei derlei Problemen wird dann die ins popkulturelle Gedächtnis eingesickerte Filmhymne gesungen: „Hakuna Matata“, auf Deutsch ungefähr: „Mach dir keine Sorgen“ oder „Nimm es leicht“. Und darauf können sich nun wirklich alle einigen.