Der Vorschlag, ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), einzuführen, stößt in weiten Kreisen der Bevölkerung auf große Sympathien. Menschen würden nicht mehr über Leistungen wie Hartz IV oder Arbeitslosengeld II aufgefangen, sondern alle Bürger kämen in den Genuss einer Zuwendung, die zur Sicherung ihrer materiellen Existenz ausreicht. Doch ist das wirklich so? Löst das, was auf den ersten Blick fasziniert, das Armutsproblem in unserer Gesellschaft?
Von Christoph Butterwegge
Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, hat mit seinen Plänen für ein „solidarisches Grundeinkommen“ bundesweit großes Aufsehen erregt. Der SPD-Politiker möchte Langzeiterwerbslose durch unbefristete Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aus Hartz IV herausholen. Gezahlt werden soll ihnen der (Landes-)Mindestlohn. Nötig wären jedoch mehr tariflich bezahlte Stellen im öffentlichen Dienst, weil dieser sonst leicht zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft degeneriert. Auch gilt der von Müller gewählte Name „solidarisches Grundeinkommen“ als Etikettenschwindel, weil das bedingungslose Grundeinkommen einen steuerfinanzierten Universaltransfer darstellt, der allen Wohnbürgern ohne Arbeitsverpflichtung und Bedürftigkeitsprüfung gezahlt würde.Auf den ersten Blick fasziniert das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Wer würde schließlich nicht gern 1000 Euro monatlich – die meist als Zahlbetrag genannt werden – vom Staat bekommen, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen? Und doch würde das Grundeinkommen der Gesellschaft kein Glück bringen, weil es den gültigen Gerechtigkeitsvorstellungen widerspricht. Denn wo bleibt die Gerechtigkeit, wenn das Mitglied einer Landkommune in der Niederlausitz ohne nennenswerte Wohnkosten denselben Geldbetrag erhält wie ein Single, der im boomenden Berlin keine bezahlbare Mietwohnung findet? Und was ist mit einem Menschen, der darüber hinaus schwerstbehindert, also etwa blind ist? Ist es gerecht, dass es bei der Gewährung des Grundeinkommens überhaupt keine Rolle spielt, wie sehr sich ein Anspruchsberechtigter angestrengt und was er im Laufe seines Lebens geleistet hat? Und was ändert sich durch das Grundeinkommen an der Ungerechtigkeit einer seit Jahrzehnten bestehenden Verteilungsschieflage beim Vermögen, wenn Müllwerker und völlig Mittellose keinen Cent mehr als Millionäre und Milliardäre erhalten? Man kann es auch so ausdrücken: Während die Reichen das Grundeinkommen nicht brauchen, reicht es für die Armen nicht.Da sich ein wohlhabendes Land seiner Fürsorgepflicht jedem Einzelnen gegenüber nicht durch die Zahlung eines vermutlich sehr niedrigen, in der Summe die staatliche Finanzkraft aber überstrapazierenden Pauschalbetrages entledigen darf, taugt das Grundeinkommen weder als Ersatz noch als Ergänzung des bestehenden Sozialstaates. Vielmehr laufen gerade die einflussreichen BGE-Modelle auf eine Zerschlagung des bestehenden Sozialstaates hinaus, der zumindest seinem Anspruch nach den Lebensstandard von Erwerbslosen sichernde Lohnersatzleistungen gewährt und die Lebensleistung von Ruheständlern durch Zahlung einer Rente oder Pension anerkennt. Dagegen sieht das Grundeinkommen von den konkreten Arbeits-, Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnissen seiner Bezieher ab. Alle werden über einen Leisten geschlagen, was differenzierte Lösungen für soziale Probleme ausschließt und weder gerecht noch realistisch ist.
Christoph Butterwegge hält auf der Landessynode einen Vortrag zum Thema: „Gesellschaftlicher Frieden – reich, arm, raus?“. Am Donnerstag, 25. Oktober, 14 Uhr, Bartholomäuski., Friedensstraße, Berlin-Friedrichshain.Die Synode tagt öffentlich.
Zum Weiterlesen: Christoph Butterwege/Kuno Rinke (Hrsg.), Grundeinkommen kontrovers.Plädoyers für und gegen ein neues Sozialmodell, Beltz-Verlag, Weinheim 2018.
Christoph Butterwege, Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik?, Beltz-Verlag, Weinheim 2018.