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Geplündert, gestohlen und manchmal heimgekehrt

Im Juni 1945 steht die Übergabe großer Teile von Westsachsen, Thüringen und dem heutigen Sachsen-Anhalt an die Rote Armee unmittelbar bevor. Die US-Army bereitet ihren Abzug aus diesen Gebieten vor, die laut Absprache zwischen den Westmächten und Moskau Teil der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) werden sollten. Auch mehrere LKW verlassen den Gothaer Schlosshof in Richtung Coburg. Darauf befinden sich Kunstgüter aller Art aus den herzoglichen Sammlungen von Schloss Friedenstein. Auf Drängen von Herzogin Viktoria Adelheid von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg (1885-1970), der letzten Herzogin von Sachsen-Coburg und Gotha, wurden die Preziosen vor der anrückenden Roten Armee „in Sicherheit gebracht“.

„Die Herzogin ließ unter anderem die wertvollsten Stücke unserer Niederländer-Sammlung einpacken“, berichtet der heutige Sammlungsleiter der Friedenstein Stiftung Gotha, Timo Trümper. Obwohl die Kunstwerke in eine Stiftung übergegangen waren, über welche das Land Thüringen die Aufsicht führte, hat das nach Franken zurückgezogene Herzoghaus viele der geretteten Stücke in den 1950er Jahren nach und nach verkauft.

Die herzogliche Entnahme war jedoch nicht der einzige Verlust der unmittelbaren Nachkriegszeit. Diebstähle durch Besatzungssoldaten und Museumspersonal waren keinesfalls selten. Und schon 1942 erstellte die Sowjetunion Listen über Kunstwerke, mit denen sie die zuvor von den Deutschen zerstörten oder geplünderten Museen in der UdSSR nach dem Krieg auffüllen wollte. Mit dem Grad der Verwüstungen von Wehrmacht und SS in der Sowjetunion wuchs auch die Liste an.

„1946 wurde alles von Wert aus Gotha verladen und nach Moskau verbracht“, erzählt Trümper. Die Kunst sei als Reparationsleistungen betrachtet worden. Zwar gab Moskau 1956 unter dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow (1894-1971) die meisten Kunstwerke wieder an die DDR zurück. Wohl weil dieser Befehl aber sehr kurzfristig erteilt wurde, verblieben auch von den Gothaer Artefakten etwa 20 Prozent in Russland.

Bis heute gelten 400 Gemälde und wahrscheinlich 30.000 Blätter aus der druckgrafischen Sammlung als verschollen. Die kunsthandwerklichen Sammlung schrumpfte nach 1945 um rund 60 Prozent. Von den 80.000 Münzen, die 1946 nach Moskau abtransportiert wurden, haben bis heute nur 64.000 Stücke den Weg nach Gotha zurückgefunden. Und die Forschungsbibliothek Gotha, die ehemals zur herzoglichen Kunststiftung gehörte, beklagt bis heute bis zu 25.000 fehlende Bände. Der heutige Direktor der Friedenstein Stiftung Gotha, Tobias Pfeifer-Helke, war schockiert, als er 2019 nach Thüringen kam: „Ich habe viele Sammlungen und Museen kennengelernt. Aber kein Haus leidet unter so vielen Verlusten wie Gotha.“

Bis heute tauchen verloren geglaubte Artefakte aus Gotha im internationalen Kunsthandel auf oder werden der Friedenstein Stiftung vor Auktionen angeboten. Oft gelingt es mithilfe von Kunststiftungen oder öffentlichen Mitteln, die Verluste zu Vorzugspreisen zurückzukaufen. So wie jüngst im Falle eines sogenannten Willkomm-Pokals in Gestalt eines Fasans aus vergoldetem Silber. Das kostbare Trinkgefäß wurde um 1700 geschaffen, befand sich seit 1849 im Gothaer Besitz und verschwand 1945 unter bislang ungeklärten Umständen aus der Sammlung. Seit Januar ist er zurück in Gotha.

Seltene Glücksfälle sind es auch, wenn Museen Gothaer Verluststücke kostenlos überlassen. So gab etwa das Toledo Museum of Art (USA) 2015 ein 1945 entnommenes Astrolabium, ein astronomisches Rechen- und Messinstrument, an den Friedenstein Gotha zurück. Eine französische Elfenbeinschatulle aus dem 14. Jahrhundert wurde vom Kölner Museum Ludwig zurück nach Gotha gesandt.

Doch selbst deutsche Museen zeigen sich nicht immer willens, den Gothaern gestohlene Kunst zurückzugeben. So etwa im Fall eines frühen Selbstbildnisses von Rembrandt von Rijn (1606-1669). Derzeit hängt der Rembrandt im Niederländersaal des neuen Herzoglichen Museums in Gotha nur als Foto.

Das Original gehört zu dem Konvolut, das im Sommer 1945 den Friedenstein in Richtung Coburg verließ. „Nach deutschem Recht ist die eigenmächtige Entnahme längst verjährt und gehört das Bild der Alten Pinakothek in München, die es in den 1950er Jahren von der Herzogsfamilie erworben hat“, sagt Trümper. Aber kulturhistorisch sei der Platz dieses Gemäldes als ein bedeutender Teil der fürstlichen Sammlungen auf dem Friedenstein.