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Geliebt. So oder so

Wenn Jugendliche merken, dass sie schwul oder lesbisch sind, haben auch die Eltern viele Fragen und Sorgen. Eine Selbsthilfegruppe in Gütersloh bietet Unterstützung.

Irgendwann stellte Heidrun P. die entscheidende Frage. „Was tust du denn immer so geheimnisvoll?“, fragte sie ihren Sohn Markus*. „Bist du in etwas verwickelt? Oder – bist du schwul?“

Endlich war es heraus, das Wort, das Markus bis dahin vermieden hatte. Ja, Markus war schwul, das wusste er schon lange. Jetzt, mit 16, konnte er das vor seiner Mutter eingestehen. Eine Erleichterung für ihn. Für seine Mutter zunächst ein Schock, obwohl ihr Anzeichen dafür, dass ihr Sohn „anders“ war, bereits früh aufgefallen waren.

„Mein erster Gedanke war: Er ist doch so ein Lieber“, erinnert sich Heidrun P. „Und: Ich werde nie Enkelkinder haben …“
Nach diesem Gespräch standen für Heidrun P. tausend Fragen im Raum. Mit ihrem Mann konnte sie nicht reden – Markus war noch nicht bereit, sich seinem Vater zu offenbaren. Also erzählte sie ihrer besten Freundin von ihren Sorgen – und bekam eine niederschmetternde Antwort: „Das liegt an der Erziehung.“ Ein Urteil, das wehtat.

Wird ihr Sohn unglücklich werden?

Es folgten die Sorgen um Markus‘ Wohlergehen. Würde es Mobbing geben in der Schule? Ausgrenzung unter den Freunden? Würde ihr Sohn unglücklich werden – und sie selbst mit ihm? Gleichgeschlechtlich liebende Menschen sind nach wie vor oft subtiler Diskriminierung ausgesetzt, die auch ihre Angehörigen zu spüren bekommen. Manchmal sind es einfach unbedachte Äußerungen, die wie Nadelstiche schmerzen. „Ein Mädchen stellte ihn vor als ‚mein Freund, der homo ist‘“, erzählt P. „Das war vielleicht nett gemeint – aber so einen Spruch würde man doch bei Heterosexuellen auch nicht bringen.“

Später, als auch ihr Mann Bescheid wusste, gab es Zeiten des Schwankens zwischen Akzeptanz und Zweifel. „Er trifft sich doch mit Mädchen“, meinte Markus‘ Vater. „Vielleicht ändert sich ja doch noch was …“ Aber es änderte sich nichts.
Inzwischen ist Heidrun P. zur Aktivistin für die Rechte und die Akzeptanz gleichgeschlechtlich liebender Menschen geworden. „Ich habe mich gefragt: Kann ich gut hinter Markus stehen, oder verstecke ich mich?“, erzählt sie. Sie entschied sich für einen offensiven Umgang.

Unterstützung fand sie in einer Gesprächsgruppe für Eltern in der gleichen Situation, die das Ehepaar Marianne und Detlef Kerkhoff in der Gütersloher Matthäus-Gemeinde (siehe unten) ins Leben gerufen hatte, der BEFAH-Gruppe (Bündnis von Eltern, Freunden und Angehörigen von Homosexuellen in verschiedenen Städten). „Hier finde ich andere Eltern, die mich verstehen, ohne dass ich alles immer erklären muss“, sagt Heidrun P.

Irgendwann stellte sie sich weithin sichtbar hinter einen Info-Stand beim „Rainbow-Flash“, einem Aktionstag für die Rechte Homosexueller in der Gütersloher Innenstadt. Später trug sie mit anderen Eltern bei der Parade zum Christopher-Street-Day in Bielefeld ein Banner mit der Aufschrift „Wo unsere Kinder sind, da ist unser Herz“. Eine junge lesbische Frau kam mit Tränen in den Augen auf sie zu:„Wenn doch meine Eltern das auch sagen würden…“

Ein selbstbewusstes Ja zur Homosexualität von Kindern ist nicht für alle Eltern selbstverständlich – immer noch nicht. Und auch für tolerante Eltern ist es anfangs manchmal doch gewöhnungsbedürftig, wenn der Sohn mit dem Partner oder die Tochter mit der Partnerin zärtlich ist. Aber, so bestätigen es alle Eltern in der BEFAH-Gruppe: Man wächst mit seinen Kindern.

So erzählt es auch eine weitere Mutter, die sich an die Seite ihres Sohnes stellte: Der damals 17-Jähriger hatte dem Betreuer einer christlichen Ferienfreizeit anvertraut, dass er schwul sei. „Er hatte gehofft, auf Verständnis zu stoßen“, berichtet die Mutter. „Aber der  zeigte auf einmal ein ganz anderes Gesicht: Homosexuell sein, das ginge gar nicht, das müsste man wegbeten!“ Auch in der E-Mail betonte der Betreuer noch einmal, wie schlecht und schädlich Homosexualität sei. Da platzte der Mutter der Kragen. „Als er mir diese  Mail gezeigt hat, da musste ich mich einfach einmischen“, sagt sie. „Ich habe dem geschrieben, dass die Christen doch immer predigen, dass vor Gott alle gleich sind. Da ist es doch total unverständlich, dass die an diesem Punkt so intolerant sind!“

In den vergangenen Jahren hat sich die Gesellschaft Homosexuellen gegenüber geöffnet, und auch die Kirchen ziehen langsam nach. Marianne und Detlef Kerkhoff etwa, deren Sohn sich schon vor über 20 Jahren geoutet hat, haben jetzt einen Schwiegersohn. „Eine tolle kirchliche Trauung war das“, erzählt Detlef Kerkhoff und hofft, dass die Hochzeitsgäste etwas mitgenommen haben von dieser Feier. „Auch kleine Schritte ziehen Kreise“, meint er.

Für Heidrun P. und die anderen Mütter und Väter in der BEFAH-Gruppe ist klar: So, wie ihre Kinder sind, sind sie ihnen von Gott gegeben. „In meinem Glauben habe ich damit kein Problem“, sagt Nina L.*, deren 16-jähriger Sohn früher ein Mädchen war. „Im Gegenteil: Er gibt mir die Kraft, meinen Sohn genau so anzunehmen.“

Verbesserungen, Schritt für Schritt

Alle in der Gruppe kennen jedoch auch andere Beispiele. Etwa von den Eltern, die ihr Kind vor die Tür setzten, als sie von dessen Homosexualität erfuhren. Oder die Geschichten von evangelikalen Christen, die versuchen, ihre Kinder „gesundzubeten“ oder umzuerziehen. Um solche Auswüchse zu vermeiden, werden Eltern der BEFAH-Gruppen auch politisch aktiv, etwa mit einer Petition an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die darauf abzielt, vermeintlich therapeutische, tatsächlich jedoch menschenverachtende Versuche der  sogenannten „Homo-Heilung“ gesetzlich zu verbieten.

„Man muss immer dranbleiben“, erklärt Marianne Kerkhoff, die sich jetzt seit über 20 Jahren für die Rechte gleichgeschlechtlich liebender Frauen und Männer einsetzt. Das Wichtigste für die Eltern  der Gesprächsgruppe ist jedoch, dass ihre Kinder sich bei ihnen angenommen fühlen. Oder, wie Nina L. es auf den Punkt bringt: „Ich habe ihm gesagt: Du bist mein Kind, und ich liebe dich so, wie du bist.“
* Name geändert

Kontakt zur BEFAH-Gruppe OWL für Eltern homosexueller Töchter und Söhne gibt es unter E-Mail elterngruppe.gt@gmx.de. Die Aktionstage „Gütersloh ver/liebt sich“ mit Workshops, Diskussionen und einem „Pride day“ und einem „Rainbowflash“ finden vom 14. bis 24. Mai statt. Informationen zum Programm im Internet: www.gt-verliebtsich.de.