Zu den bekanntesten Erzählungen Jesu zählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter: Ein Mann war unter die Räuber geraten und lag schwerverletzt am Wegesrand. Mehrere Personen, darunter auch ein Priester, ignorierten ihn. Erst ein Samaritaner versorgte die Wunden des Mannes, brachte ihn zu einer Herberge und bezahlte die Versorgung – das Beispiel schlechthin für tätige Nächstenliebe (Lukas 10, 25-37).
Künstlerische Darstellungen des barmherzigen Samariters knüpfen den roten Faden in der Ausstellung „Caritas“, die noch bis zum 13. Dezember im Diözesanmuseum in Paderborn zu sehen ist. Die ambitionierte Schau widmet sich erstmalig umfassend dem Thema Nächstenliebe – von der Antike bis zur Gegenwart. Rund 200 Exponate – Sarkophage, Münzen, Gefäße und Buchkunst, Malerei, Skulptur und Videokunst – illustrieren die Chronologie dieses nicht nur für das Christentum so zentralen Themas. „Caritas“ will einen kulturhistorischen Überblick verschaffen und die Reaktion der Kunst aufzeigen.
Kulturgeschichtlicher Überblick
„Die Antike kannte keine Nächstenliebe“, erklärt Professor Christoph Stiegemann, der Direktor des Museums. Caritas, die Überführung der Nächstenliebe in praktisches Handeln, sei im Römischen Reich revolutionär gewesen. Da hätte sich die Ausstellung keinen besseren Auftakt wünschen können als eine frühe Abschrift des Paulus-Briefes an die Korinther aus dem zweiten Jahrhundert, in dem es heißt: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Der Text wird dank multimedialer Technik nach Bildschirmberührung ins Deutsche übersetzt.
Neun Kapitel setzen thematische Schwerpunkte. Erzählt wird eine Erfolgsgeschichte, die sich jedoch aufgrund immer neuer Herausforderungen stets neu artikulieren musste. Darstellungen des „Brotbrechens“ und von Getreidespenden sind früheste Zeugnisse von Barmherzigkeit und Nächstenliebe.
Nach dem Untergang Roms übernahmen die Bischöfe und später die Kaiser sowie die Klöster das karitative Wirken. Ein Psalter-Einband aus dem zwölften Jahrhundert zeigt eine der ältesten Darstellungen der Werke der Barmherzigkeit. Mit dem Ausbreiten der Städte wurde ab dieser Zeit die Armenfürsorge zu einer Aufgabe, die auch Laienbruderschaften ausübten. Auf das karitative Wirken der Heiligen Elisabeth und Nikolaus von Kues wird in Paderborn ein besonderer Fokus gelegt.
Auch in der Malerei taucht das Thema der Nächstenliebe schon früh auf, etwa in einem Bild, das zeigt, wie das Blut, das aus einer Wunde Christi spritzt, von der vor ihm knienden Caritas in einem Becher aufgefangen wird. Als „gemalte Moralpredigt“ deutet Christoph Stiegemann ein Tafelbild aus Antwerpen (um 1500). Es konfrontiert in kleinen, überaus detailreichen Szenen die sieben Werke der Barmherzigkeit mit den sieben Todsünden. Es stammt aus einem Haus, in dem Arme versorgt wurden.
In der Renaissance betritt erstmalig die Personifizierung der Caritas die Bühne – als Mutter mit Kindern: stark, mit ruhigem Blick im monochromen Werk von Raffael, stillend und in antikisierender Nacktheit bei Lukas Cranach. In den reformierten Ländern wurde die Fürsorge zu einer Aufgabe der Stadtverwaltungen. Ein Gruppenporträt aus Amsterdam aus dem 17. Jahrhundert zeigt eine Versammlung von Vorstehern sozialer Einrichtungen. Anders bei Rubens: Der setzte im katholischen Antwerpen „Christus als Beschützer der Waisen“ ins Bild.