Achtlos hingeworfene E-Scooter mitten auf dem Gehweg, Jugendliche, die mit 20 Kilometern pro Stunde haarscharf an älteren Menschen vorbeiflitzen, Roller, die auf Gleisen liegen, in Seen versinken oder von Brücken geworfen werden: E-Scooter, die seit vier Jahren in Deutschland zum Straßenverkehr zugelassen sind, erhitzen die Gemüter. Ist die neue Mobilitätsform zeitgemäß und umweltfreundlich oder schlicht gefährlich?
Als „Herausforderung für die Verkehrssicherheit“ bezeichnet der Deutsche Verkehrssicherheitsrat in Berlin E-Scooter im Straßenverkehr. Diese Einschätzung teilt auch Nils Weber, Verkehrsdezernent der Polizeidirektion Hannover. Busse, Bahnen, Autos, Räder, Fußgänger – der innerstädtische Raum sei ohnehin knapp. „Durch die E-Scooter ist die Verkehrssituation noch anspruchsvoller geworden.“
Einer Schätzung der Online-Plattform Statista zufolge haben im vergangenen Jahr rund zehn Millionen Menschen bundesweit E-Scooter-Sharing genutzt – vor allem in den Großstädten. Den Zahlen zufolge ist Deutschland weltweit der zweitgrößte Markt für E-Roller-Verleiher nach den USA.
Unfälle werden durch Autos & Co. verursacht
Durch die vermehrte Nutzung der Elektro-Kleinstfahrzeuge, wie sie offiziell heißen, stieg auch die Zahl der Verkehrsunfälle, an denen sie beteiligt waren. Im Vergleich zu 2021 gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr bundesweit 49 Prozent mehr E-Scooter-Unfälle. Dabei kamen insgesamt elf Menschen ums Leben; 2021 waren es noch fünf Todesopfer.
Für Nils Weber sind E-Scooter-Fahrer nicht besser oder schlechter als andere Verkehrsteilnehmer auch. Der Verkehrsdezernent verweist auf den Lageplan „Neue Mobilitätsformen 2022“. Dort heißt es: „Es ist festzustellen, dass bei Verkehrsunfällen mit Beteiligung des E-Scooter-Verkehrs die Verursachung ganz überwiegend bei anderen Verkehrsbeteiligungsarten liegt.“ In Niedersachsen beispielsweise wurde 2022 nur rund ein Drittel der E-Roller-Unfälle von E-Scooter-Fahrenden selbst verursacht.
Betrunken auf den E-Scooter schwingen
Dass die Bereitschaft, sich an Verkehrsregel zu halten, bei manchen der überwiegend jungen und zu rund 70 Prozent männlichen Nutzer von E-Rollern zu wünschen übrig lässt, räumt auch Weber ein. Ob zu zweit auf dem Roller, Wettrennen, Fahrten auf dem Fußweg, in falscher Richtung oder alkoholisiert, „es ist viel Ignoranz im Spiel“, sagt er.
Der Anteil der unfallbeteiligten Elektrorollerfahrer, die Alkohol getrunken haben, liegt dem Mobilitäts-Lageplan zufolge bei fast 15 Prozent, bei Radfahrern sind es nur fünf Prozent. Weber führt das unter anderem darauf zurück, dass E-Scooter oft spontan gemietet werden, abends, nach Kneipenbesuchen, Festen, Konzerten. „Die Leute lassen das Auto bewusst stehen, sehen dann auf dem Heimweg einen E-Roller und stellen sich spontan drauf.“
Über die Konsequenzen, die das haben kann, seien sie sich oft nicht bewusst. Viele wüssten nicht, dass die Promillegrenze beim E-Scooter-Fahren juristisch der für Autofahrer entspricht, nicht der für Radfahrer. Für Fahranfänger heißt das 0,0-Promille, für alle anderen 0,5 Promille. „Wenn es dann heißt, dass der Führerschein weg ist, sind sie ganz verzweifelt.“
In Paris verboten, in Kroatien nur mit Helm
Das Ziel der sogenannten „letzten Meile“ bei der Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln, das die E-Scooter ursprünglich erfüllen sollten, sei im Laufe der Zeit ins Hintertreffen geraten, sagt Weber. Zwar gebe es Menschen, die nach Feierabend Bus und Bahn nutzten und dann die letzten Kilometer mit dem Roller nach Hause führen. Viel intensiver aber würden E-Scooter inzwischen im Freizeitbereich genutzt.
Dass die Menschen noch um den Umgang mit E-Scootern ringen, zeigt ein Blick ins Ausland. Laut ADAC haben Großbritannien und die Niederlande die Mietroller verboten. Die Pariser fällten ihr Urteil im April – 89 Prozent votierten für die Abschaffung der Leihroller. 15.000 E-Scooter prägten bisher das Straßenbild der französischen Metropole, damit ist seit dem 1. September Schluss.
Auch die Details im Umgang mit E-Scootern sind weltweit unterschiedlich geregelt: In Kroatien besteht Helmpflicht, in Schweden ist das Parken der E-Scooter auf Fuß- und Radwegen verboten, und in Singapur müssen Roller-Fahrer erst einmal zum Theorietest. Das finnische Helsinki reduziert die Höchstgeschwindigkeit der Roller nachts auf 15 Kilometer pro Stunde, im norwegischen Oslo ist das Fahren mit E-Scootern zwischen 23 und 5 Uhr ganz verboten.
Rücksicht ist das oberste Gebot
Für Polizeihauptkommissar Weber liegt der Schlüssel für die Lösung der Probleme in der gegenseitigen Rücksichtnahme. Das sei immerhin Paragraf 1 der Straßenverkehrs-Ordnung: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“.
Das gelte für alle und bei den E-Scootern nicht nur für die Fahrt, sondern auch das Abstellen, sodass niemand stolpere oder Slalom laufen müsse. Liege ein Roller mitten im Weg, seien aber nicht zwangsläufig die Fahrer dafür verantwortlich. „Es gibt auch Menschen, die sich über die E-Scooter ärgern und sie umtreten.“
Im Grunde sei es einfach, sagt Weber. Die Menschen müssten sich alle einfach mal ein Stück zurücknehmen, sich in andere herein versetzen und nicht immer auf ihr Recht pochen. „Um Rücksichtnahme könnte es in der Gesellschaft allerdings besser bestellt sein.“