In der Via delle Belle Donne direkt neben dem Eingang zur gleichnamigen Osteria klopft Matteo Faglia an ein Miniatur-Holztor in der Hauswand. Was an die Haustüre eines Mäusedomizils in einem Zeichentrickfilm erinnert, ist in der Realität eine clevere Einrichtung für trinkfreudige Menschen: Nach kurzer Zeit öffnet sich das Törchen, und eine Hand reicht ein Glas Wein hinaus.
Die sogenannten Buchette del Vino, die Weintürchen, mausern sich zu einer der vielen Touristenattraktionen, die Florenz zu bieten hat: Eine Erfindung aus dem Mittelalter, die die Florentiner durch die Pest begleitet hat und die in der Corona-Pandemie wiederentdeckt wurde. Heute stehen die Menschen Schlange vor dem Türchen in der Via delle Belle Donne oder jenem im Palazzo dello Strozzino, das zum Café Odeon gehört. Aber nicht an jeder kleinen Holzpforte lohnt es sich zu klopfen. Nur zehn von den 180, die sich in Florenz befinden, sind heute wieder in Betrieb.
Matteo Faglia ist Präsident des Kulturvereins „Associazione Buchette del Vino“, die sich um den Erhalt der Weinlöcher kümmert und darum, dass die Geschichte der etwa 20 mal 30 Zentimeter großen Wandöffnungen wieder ins Bewusstsein der Florentiner gelangt. Der Verein hat sich zwar schon im Jahr 2015 gegründet. Bekanntheit erlangten er und die Kulturschätze aber erst während des strengen Lockdowns in der Corona-Pandemie.
Die Eisdiele Vivoli um die Ecke der Basilika Santa Croce verkaufte in dieser Zeit ihre Ware durch eines der Weintürchen. Seit 1932 ist die Gelateria schon an diesem Platz, 1984, so erzählt es Patrizia Vivoli italienischen Medien, habe man die Buchetta del Vino bei Renovierungsarbeiten zu Tage gefördert. Allerdings ließ man sie ungenutzt, öffnete sie ab und zu mal aus Spaß. Als sich dann im Frühjahr 2020 das Corona-Virus rasant ausbreitete und die Kontakte zwischen den Menschen auf ein absolutes Minimum beschränkt werden mussten, kam das Weintürchen wie gerufen. Nach telefonischer Vorbestellung konnten die Kunden ihr Eis dort sicher abholen.
Die Übergabe durch die kleinen Öffnungen war bereits die Lösung für einen kontaktlosen Weinhandel während der Pest, die zwischen 1630 und 1633 in Florenz wütete. Doch die Geschichte der Weintürchen reicht sogar noch weiter zurück, wie Matteo Faglia erzählt. Die berühmten Adelsfamilien der Stadt, deren Namen noch heute mit den Weingütern in ihrem Besitz in Verbindung stehen, wie die Antinoris oder die Frescobaldis brachten in ihren prunkvollen Palazzi schätzungsweise im 16. Jahrhundert Weintürchen an.
„Cosimo der Erste hat ein Dekret erlassen, dass es den Adelsfamilien erlaubte, eine Flasche Wein pro Person direkt aus ihren Palazzi heraus steuerfrei zu verkaufen“, erzählt Matteo Faglia. Die Menschen kamen mit ihren leeren Flaschen und ließen sie sich wieder auffüllen. Der Wein, der sehr viel weniger Alkohol enthielt als heutzutage, sei damals ein wichtiges Nahrungsmittel gewesen. „Die Florentiner tranken damals viel Wein, etwa zwei Liter pro Tag, weil das Wasser des Arno schmutzig und ungesund war.“
Faglia geht davon aus, dass die Buchette in jener Zeit entstanden sind. Die These: Am Anfang wurde der Wein noch an der Eingangstüre verkauft – niemand wollte schließlich, dass das Volk in die Palazzi hineinkommt. Wenn die Herrschaft allerdings mit der Kutsche herauswollte, musste der ganze Stand abgebaut werden. Die kleinen Weintürchen machten den Straßenverkauf einfacher. Als sich dann im 18. Jahrhundert Korken verbreiteten, um die Flaschen zu verschließen, wurde der Wein länger haltbar und konnte in Flaschen in Läden verkauft werden. Die Buchette del Vino verloren an Bedeutung.
„Die meisten Florentiner, ganz abgesehen von den unzähligen Besuchern der Stadt, gehen jeden Tag an den Buchette vorbei, ohne zu wissen, dass sie überhaupt existieren“, sagt Faglia. So sei es ihm schließlich auch selbst ergangen. Im Alter von etwa 20 Jahren ist der gebürtige Mailänder nach Florenz gezogen. In dem Haus, in dem er wohnte, gibt es auch ein Weintürchen, „aber ich habe es nie bewusst wahrgenommen, es erst bemerkt, als ich mich später mit der Geschichte der Türchen beschäftigte“.
Durch die Arbeit des Vereins, aber vor allem durch die Wiederentdeckung in der Corona-Pandemie und die virale Verbreitung der Geschichte über die sozialen Medien, sind die Buchette del Vino heute ein Besuchermagnet. Dennoch: Mehr als zehn der 180 werden in absehbarer Zeit wohl nicht in Betrieb genommen. Wegen der langen Schlangen, die sich vor manchem Weinloch bilden, fingen die Nachbarn an zu protestieren. „Die Stadtverwaltung hat dann entschieden, dass ab April 2023 keine Genehmigungen mehr für weitere Öffnungen erteilt werden“, erzählt Matteo Faglia. Die Menschenschlangen sind dadurch aber nicht weg, im Gegenteil: Die bestehenden Buchette sind nur noch beliebter geworden.