Das Verhältnis zwischen der evangelischen Kirche und der Partei AfD gilt als angespannt, gemeinsame öffentliche Auftritte gab es bisher nicht. Die evangelische Nachrichtenagentur idea hat zwei Spitzenvertreter um ein Gespräch gebeten: den rheinischen Präses Manfred Rekowski, zugleich Vorsitzender der Kammer der EKD für Migration und Integration, und die Parteivorsitzende der AfD, Frauke Petry. Das Treffen fand auf Einladung von Präses Rekowski im Düsseldorfer Landeskirchenamt statt und wurde moderiert von Karsten Huhn.
Frau Petry, Herr Rekowski, im Jahr 2015 nahm Deutschland knapp 900 000 Flüchtlinge auf, 2016 etwa 300 000. Schaffen wir die Flüchtlingskrise, oder schafft die Krise uns?
Rekowski: Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen etwa 12 Millionen Menschen aus den Ostgebieten aufgenommen. Heute haben wir eine riesige Wirtschaftskraft und werden das schaffen. Allerdings ist die Integration von Flüchtlingen kein Selbstläufer, sondern ein Kraftakt.
Petry: Den Verweis auf die Nachkriegssituation halte ich für historisch höchst bedenklich. Damals handelte es sich um die Vertreibung von Deutschen aus deutschen Gebieten. Es waren Landsleute. Heute erleben wir eine Masseneinwanderung keineswegs nur von Flüchtlingen, sondern von Migranten aus einer fremden Kultur, die auf der Suche nach einem wirtschaftlich besseren Leben sind. Hier wird Recht gebrochen.
Wird in Deutschland das Recht gebrochen?
Rekowski: Das Völkerrecht und das Asylrecht sind für uns verpflichtend. Ich sehe hier nicht ansatzweise einen Rechtsbruch. Wir haben das Weltproblem Flucht …
Es geht um konkrete menschliche Schicksale
… weltweit sind 64 Millionen Menschen auf der Flucht …
Rekowski: … und dazu müssen wir uns verhalten. Diese Herausforderung kann nicht national gelöst werden, da ist die Völkergemeinschaft gefragt. Wir müssen über das Wie unserer Hilfe nachdenken und nicht über das Ob.
Petry: Es gibt ein Selbstbestimmungsrecht der Völker, und es gilt die Unverletzlichkeit der Grenzen. Beide Rechte werden durch die Massenmigration verletzt – und zwar von unserer eigenen Regierung. Dieser Rechtsbruch wird in weiten Teilen der Bevölkerung und auch von Staatsrechtlern als solcher erkannt. Nur die Kirche in Deutschland weigert sich, das anzuerkennen, und leistet der Rechtsbeugung Vorschub. Rekowski: Man darf das Grundgesetz und das Völkerrecht nicht in der von Ihnen genannten Weise abtun. Europa befand sich 2015 in einer humanitär extrem schwierigen Situation. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Situation mit breiter Zustimmung des Volkes aufgelöst, indem sie Flüchtlinge aufnahm. Dass die Umsetzung zum Teil schwierig ist, wissen wir. Ich habe vor Kurzem mit 500 in der Flüchtlingsarbeit tätigen Ehrenamtlichen unserer Kirche gesprochen. Dort lernt man, dass es nicht um abstrakte Zahlen geht, sondern um konkrete menschliche Schicksale. Und man lernt, wie viele Menschen in unserem Land bereit sind, sich für Flüchtlinge einzusetzen.
Petry: Sie behaupten, es gebe eine breite Zustimmung des Volkes. Ich kann mich nicht erinnern, dass Frau Merkel vor ihrer Grenzöffnung am 4. September 2015 das Volk oder auch das Parlament gefragt hat. Es gibt diese breite Zustimmung nicht! Wer für unsere Situation das Gleichnis vom barmherzigen Samariter heranzieht, vergewaltigt biblisches Wissen.
Rekowski: Ich habe 35 Jahre in einem Wuppertaler Stadtteil mit hohem Migrationsanteil und vielen Mühseligen und Beladenen gearbeitet. Dort lebe ich auch heute. Ich denke, dass ich viel über die gesellschaftliche Situation weiß. Ich weiß, was gelingen kann und was bei der Integration Schwierigkeiten bereitet.
Alle Menschen sind Ebenbilder Gottes
In der Bibel heißt es: „Du sollst den Fremdling in deinem Land nicht bedrücken noch bedrängen“ (1. Mose 26,3). Was bedeutet diese Aussage für Sie?
Rekowski: Die Bibel kennt so etwas wie eine doppelte Staatsbürgerschaft: Das Bürgerrecht der Christen ist im Himmel, und wir sind auch hier auf dieser Erde zu Hause. Der Umgang mit dem Fremden ist in der Bibel keine Randfrage, sondern ein tragendes Kriterium. Deshalb lehnen viele Christen die Positionen ab, die die AfD vertritt.
Petry: Der Kirche geht das Bewusstsein verloren, dass Barmherzigkeit und Toleranz gegenüber Fremden nur möglich ist, wenn der Rechtsstaat noch funktioniert. Wir erleben derzeit, dass die Kirche christliche Grundsätze beliebig macht. Die Errungenschaften von christlichem Glauben und Aufklärung sind in Gefahr. Ich würde mir wünschen, dass die Kirche sie offensiv verteidigt. Stattdessen grenzt die Kirche
Christen aus, die der AfD angehören.
Rekowski: Niemand ist verpflichtet, sich auf den christlichen Glauben zu berufen. Wer es jedoch tut, muss sich an das christliche Koordinatensystem halten. Ich glaube, dass alle Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen sind. Da gibt es kein Wackeln und Vertun. Wer diese Position infrage stellt, bekommt es mit uns zu tun – ob er nun in der AfD oder in einer anderen Partei tätig ist.
Petry: Sie unterscheiden inzwischen in Ihrer Kirche zwischen Christen erster und zweiter Klasse – AfD-Mitglieder werden von Ihnen ausgeladen.
Rekowski: Ich habe Sie zum Gespräch eingeladen.
Petry: Es wäre schön, wenn das Gespräch, das wir hier führen, typisch wäre. Das ist es aber leider nicht. Kirchenvertreter wie der Berliner Bischof Markus Dröge bezeichnen den Widerstand gegen die AfD als Christenpflicht. Vom Katholikentag und vom Evangelischen Kirchentag wurde die AfD ausgeladen. Als evangelische Christin bin ich befremdet davon, dass die Kirche mit ihrem Auftrag nicht mehr verantwortungsvoll umgeht. Die Kirche tut so, als wäre das Gedankengut des Islams vereinbar mit dem, was wir in der Kirche leben.
Rekowski: In ihrem Parteiprogramm bekennt sich die AfD zur deutschen Leitkultur, die sich zuerst aus der „religiösen Überlieferung des Christentums“ speise. Dem stellen wir als evangelische Kirche den christlichen Glauben gegenüber, wonach alle Menschen Ebenbilder Gottes sind. Niemand wird ausgegrenzt. Wer davon abweicht, dem widersprechen wir laut und deutlich!
Petry: Sie grenzen politisch Andersdenkende aus.
Rekowski: Sie betrachten die Rechte von Geflüchteten als nachgeordnet hinter deutschen Interessen. Bei Ihnen gibt es keine Gleichwertigkeit der Menschen.
Petry: Nein, Sie behaupten, wir würden irgendjemandem ein Recht absprechen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir beharren auf dem Recht und beklagen die Rechtsbeugung.
Rekowski: Ich war ganz tapfer und habe Ihr Parteiprogramm gelesen und auch einige Reden von Ihnen gehört. Für mich gibt es überhaupt keinen Zweifel: Ich finde mein biblisches Verständnis bei Ihnen nicht wieder. Da gibt es viele ausgrenzende Positionen, etwa im Umgang mit Muslimen.
Petry: Wir bejahen die freie Religionsausübung. Zugleich fordern wir beispielsweise ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit. Kritik am Islam muss erlaubt sein.
Rekowski: Ich habe Moscheegemeinden besucht und kenne sehr viele Muslime in meiner Nachbarschaft. Ich weiß, dass sie ihren Beitrag leisten, damit sich unser Gemeinwesen gut entwickelt. So wie die AfD sich positioniert, gefährdet sie den Zusammenhalt der Gesellschaft. Sie stellen Menschen in die Ecke und werten sie ab.
Frau Petry, der AfD wird häufig vorgeworfen, dass sie zwar Probleme benennt, aber keine Lösung anzubieten hat. Haben Sie eine?
Petry: Am Anfang steht das Recht. Wir können nicht über Integration reden, wenn wir nicht vorher geklärt haben, wer überhaupt integriert werden soll. Selbstverständlich nehmen wir politisch Verfolgte auf und gewähren Kriegsflüchtlingen temporären Schutz. Und integrationswilligen Muslimen reichen wir die Hand. Wir können aber nicht so tun, als gebe es mit der Zuwanderung keine Probleme. Es gibt Parallelgesellschaften nach Scharia-Recht. Herr Rekowski, Sie machen davor die Augen zu!
Frau Petry, was ist Ihre Lösung?
Petry: Der erste Schritt ist, die Probleme zu benennen, statt sich davor zu verschließen. Und der Rechtsstaat muss erhalten bleiben. Das bedeutet: Illegale Migranten müssen in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Dagegen favorisieren die Kirchen eine grenzenlose Integration. Das zerstört die Integrationsfähigkeit unseres Landes und Schritt für Schritt den sozialen Frieden.
Rekowski: Es gilt das Völkerrecht und das Asylrecht. Darüber hinaus brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz. Laut dem Arbeitgeberverband benötigen wir bis zum Jahr 2030 eine Zuwanderung von drei Millionen Menschen. Die Probleme liegen auch nicht allein bei den Zuwanderern, wir müssen uns intensiver mit der Situation deutscher Familien in prekären Verhältnissen befassen.
Herr Rekowski, welches Integrationskonzept haben Sie?
Rekowski: Begegnungen! Das gelingt mal besser und mal weniger gut. Wer den Dialog sucht, braucht dafür Partner. Es gibt viele Muslime, die den Kontakt suchen und sich zu Begegnungen einladen lassen.
Petry: Die Muttersprache definiert ein Volk. Die Grundlage für Verständigung ist, dass man eine gemeinsame Sprache spricht. Die Kirche sollte sich deshalb gegen die Forderung von arabisch- oder türkischsprachigem Unterricht an deutschen Schulen aussprechen. Und auch wenn es Ihnen nicht gefällt: Der Staat hat sich zuerst um seine Bürger zu kümmern. Er kann sich um illegale Migranten nicht genauso kümmern wie um seine Einwohner. Alles andere wäre ein Schlag ins Gesicht der in prekären Verhältnissen lebenden deutschen Familien.
Rekowski: Für mich gilt: Nächstenliebe und Barmherzigkeit sind unteilbar. Man unterscheidet nicht zwischen Menschen. Laut der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 ist es die Aufgabe der Kirche, den Staat an Gottes Gebote zu erinnern. Wir bringen uns in den politischen Diskurs ein, wir machen aber keine Alltagspolitik.
Petry: Entschuldigen Sie, Sie können sich doch nicht einfach aus dem Alltag herausnehmen und so tun, als lebten Sie in einer zweiten, parallelen Welt.
Frau Petry, warum sind Sie so zornig?
Petry: Ich bin bestürzt, von einem Vertreter meiner evangelischen Kirche zu hören, dass rechtsstaatliche Kriterien offenbar zur Disposition stehen.
Herr Rekowski, der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hat zu „klarer Kante“ gegen Rechtspopulisten aufgefordert. Jetzt haben Sie die Gelegenheit dazu!
Rekowski: Ich habe sehr deutlich gesagt, dass ich von einem christlich-jüdischen Menschenbild her komme. Für mich ist die Gleichwertigkeit jedes Menschen unaufgebbar. In Positionen von AfD-Politikern finde ich dagegen herabsetzende und menschenverachtende Äußerungen über Fremde und Muslime. Das ist für mich nicht akzeptabel. Die Positionen der AfD sind Sprengstoff für unsere Gesellschaft.
Frau Petry, der Berliner Bischof Markus Dröge sagt: „Christen haben in der AfD nichts verloren“. Werden Sie aus der AfD austreten oder aus der Kirche?
Petry: Ich antworte mit einer Gegenfrage: Herr Rekowski, wenn ich zu Ihnen zum Abendmahl komme, was machen Sie dann?
Rekowski: Selbstverständlich werden Sie das Abendmahl bekommen. Wir leben alle von der Gnade Gottes. Der Gastgeber ist Jesus Christus, der alle Menschen annimmt – unabhängig von ihrer Leistung oder Fehlleistung. Da haben wir uns nichts voraus.