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Forscher sieht “europäischen Dschihadismus” – und ungute Debatte

Nach einem terroristischen Vorfall wie jüngst in Solingen rückt das Thema Radikalisierung wieder in den Fokus. Ein Forscher fordert auch in ruhigeren Zeiten mehr Aufmerksamkeit für problematische Entwicklungen.

Sehr junge Menschen, bewaffnet mit Messern oder Hämmern: So könnte nach Einschätzung eines Forschers die nächste Dschihadisten-Generation aussehen. “Es ist eine Generation von nicht gut organisierten Tätern, das sind keine lange ausgebildeten Terrorkommandos”, sagte Hugo Micheron im Interview der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (Mittwoch). Die Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) setze stark auf solche Einzeltäter und verbreite etwa Videos mit Anleitungen, wie man Messer möglichst schadbringend einsetze.

Bei der Politik in Deutschland und Europa sieht Micheron zahlreiche Missverständnisse. “In den Debatten scheint es nur Extreme zu geben. Das eine ist Verleugnung und die Botschaft, nicht zu viel Aufhebens zu machen. Das andere ist Hysterie, in der Terrorismus mit Einwanderung und Muslimen gleichgesetzt wird.” Auch würden Entwicklungen zwischen einzelnen Anschlägen kaum beachtet.

So habe sich zuletzt ein “europäischer Dschihadismus” entwickelt, “der getragen wird von Menschen, die in Europa aufgewachsen sind”. Jene Extremisten, die sich aus Deutschland dem IS angeschlossen hätten, seien stets aus Orten gekommen, an denen es große salafistische Gemeinden gebe. “Man muss also sehr spezifische Gruppen innerhalb der muslimischen Bevölkerung betrachten, die politisch aktiv sind und eine sehr spezifische, extremistische Interpretation des Islams verbreiten”, so der Experte.

Die Ideologie werde zunehmend online verbreitet, “vor allem auf TikTok. Die Diskurse dort richten sich direkt gegen die demokratischen Grundlagen Deutschlands”, sagte Micheron. “Es geht darum, die Verbindung junger Menschen mit den europäischen Grundwerten zu kappen.” Dies werde nicht erst dann zum Problem, wenn es einen Angriff gegeben habe.

Die Frage nach der Bekämpfung des Dschihadismus könne man nicht loslösen von der Frage, wie mit Informationen umgegangen werde, mahnte der Forscher. “TikTok zu verbieten wäre wirkungsvoll. Vor allem wenn Sie das Missverhältnis von einer riesigen Menge schädlicher Inhalte sehen, die dort täglich von einer kleinen Gruppe Extremisten verbreitet wird.” Daran beteiligten sich zunehmend Frauen: Sie planten keinen Anschläge, aber verbreiteten “die Ideologie sehr effektiv”.