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Forscher kritisiert Zuarbeit der Kirche zur Missbrauchsstudie

Der Mannheimer Psychiater Harald Dreßing hat die Zuarbeit der evangelischen Landeskirchen bei der Erstellung der neuen Missbrauchsstudie kritisiert. Sie hätten die von den Wissenschaftlern angeforderten und von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vertraglich zugesagten Daten und Akten nur schleppend und auch nur in Teilen geliefert, sagte er am Donnerstag bei der Vorstellung der Studie in Hannover. Zudem seien “teilweise auch qualitativ unzureichende Daten übermittelt worden”.

Im Vergleich zur katholischen Kirche habe man dies auf evangelischer Seite “schlechter hinbekommen, obwohl es im Vorfeld vereinbart war”, fügte Dreßing hinzu, der auch maßgeblich an der katholischen MHG-Missbrauchsstudie 2018 beteiligt war.

Während die Forscher auf katholischer Seite Daten zu den Personalakten der 27 Bistümer erhalten hatten, habe trotz vertraglicher Verpflichtung von den 20 evangelischen Landeskirchen nur eine einzige auch die Personalakten geliefert. Daher habe man sich bei den anderen zwangsläufig auf die weniger aussagekräftigen Disziplinarakten beschränken müssen.

Dreßing erläuterte auch, wie die Hochrechnung mit insgesamt 9.355 Betroffenen und 3.497 Beschuldigten zustande kam: Die zusätzliche Analyse der Personalakten in der einen kleineren Landeskirche, die als einzige diese Akten geliefert habe, habe gezeigt, dass die Disziplinarakten etwa 60 Prozent der Beschuldigten und 70 Prozent der Betroffenen nicht erfasst hätten.

Auf Basis dieser Daten und auch auf Basis von Erfahrungswerten ähnlicher Untersuchungen komme man dann statt der offiziell gemeldeten 1.259 Beschuldigten und 2.174 Betroffenen auf die deutlich höheren Zahlen, so Dreßing. Zugleich warnte er davor, diese Zahlen absolut zu setzen. Sie beruhten ausdrücklich nicht auf einer echten wissenschaftlichen Analyse, sondern nur auf einer “spekulativen Hochrechnung”, was man immer dazusagen müsse.

Die Zahlen werden allerdings ausdrücklich genannt und ausführlich begründet in der Studie (Seite 585 bis 731), wobei der Forscher mehrfach betonen, dass es sich bei allen Ergebnissen nur um “die Spitze der Spitze des Eisbergs” handle und dass man von einem sehr großen Dunkelfeld ausgehen müsse.