„Die Irren sind los“: So kritzelte ein empörter Besucher in Großbuchstaben auf ein Plakat der „Fluxus. Internationale Festspiele Neuester Musik“ in Wiesbaden. Das Festival, das als der Gründungsort der Kunstbewegung Fluxus gilt, sorgte im September 1962 für Aufsehen. Doch bereits zuvor hatte es im Rheinland Veranstaltungen im Geist des Fluxus gegeben. Köln war Anfang der 1960er Jahre eine Keimzelle.
Das Museum Ludwig in Köln zeichnet diese energiegeladene Phase der Kunstgeschichte ab Samstag nach. Unter dem Titel „Fluxus und darüber hinaus: Ursula Burghardt, Benjamin Patterson“ stehen zwei Protagonisten der Kunstströmung im Fokus, die bislang weniger bekannt sind. Es gehe darum, einen frischen Blick auf eine Kunstbewegung zu werfen, die nach wie vor aktuell sei, erklärt Kuratorin Barbara Engelbach. „Fluxus lebt.“ Zeigen sollen das rund 450 Objekte, Filme, Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen, Installationen und Dokumente, die bis zum 9. Februar 2025 zu sehen sind.
Mit dem Wiesbadener Festival wurde die neue Kunstströmung erstmals von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Fluxus propagierte eine neue Auffassung von Kunst. Zum einen nutzten die Künstlerinnen und Künstler den Zufall und die Interaktion als künstlerisches Mittel. Zum anderen stand nicht das fertige Kunstwerk, sondern der Schaffensprozess im Vordergrund. Außerdem fielen die Grenzen zwischen den Kunstgenres. Die Neue Musik spielte eine wesentliche Rolle.
Mitorganisator des Wiesbadener Festivals war neben dem Initiator, dem litauisch-amerikanischen Künstler George Maciunas, auch der US-Musiker und Künstler Benjamin Patterson (1934-2016). Ein Fernsehbericht des Hessischen Rundfunks zeigt die Performance des Kontrabassisten Patterson, der seinen Bogen mit Zeitungspapier umwickelt, das er dann beim Spielen auf dem Instrument schreddert.
Zwei Jahre vor dieser Aktion war Patterson nach Köln gekommen. Er traf auf den US-Komponisten John Cage und kam in den Kreis um das Atelier der Künstlerin Mary Bauermeister. Dort nahm er am Contre-Festival teil. Die Veranstaltung richtete sich gegen das zeitgleich stattfindende Treffen der eher konservativen Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. Unter den Teilnehmenden war neben John Cage, Nam June Paik, William Pearson und David Tudor auch Ursula Burghardt.
1963 zog sich der afroamerikanische Künstler zunächst aus dem Kunstbetrieb zurück – aus Enttäuschung über die fehlende Unterstützung der Fluxus-Bewegung für die Bürgerrechts- und Anti-Kriegsbewegung. Er arbeitete in den USA als Musikmanager und Professor. Erst Mitte der 1980er Jahre widmete Patterson sich wieder seinem künstlerischen Schaffen, das nun auch Skulpturen umfasste. Zu sehen ist in Köln etwa „Frontal Attack“ (1987), ein mit Panzer, Pfeil und Bogen bestückter Kinderstuhl.
1992 zog Patterson von New York nach Wiesbaden. Er schuf neue Performances – etwa um die Idee eines fiktiven neuen Heilwassers des Trinkkurortes Wiesbaden -, führte aber auch alte Performances wieder auf. Er ging der Frage nach, ob Kunst das Bewusstsein und die Gesellschaft verändern kann. Die raumfüllende Installation “Blame it on Pittsburgh; or, Why I became an Artist” bietet einen Einblick in das Unterbewusstsein des Künstlers.
Ursula Burghardt (1928-2008) wurde in Halle an der Saale geboren und floh 1936 als Jüdin mit ihren Eltern vor den Nationalsozialisten nach Argentinien. In Südamerika hatte sie ihre abstrakten Skulpturen aus Gips und Holz bereits vielfach ausgestellt, bevor sie 1957 mit ihrem Mann, dem Komponisten Mauricio Kagel, nach Köln zog. Hier sah sie sich mit einer Kunst konfrontiert, die sich der eigenen Geschichte enthebt. Burghardt reagierte darauf unter anderem, indem sie begann, mit Metall zu arbeiten. Als eine der ersten Metall-Skulpturen entstand „Elipsen“ (1958). Um eine vertikale Stange ordnete sie drei dünnwandige, gebogene Kupferbänder übereinander an.
Nach einer fünfjährigen Kinderpause bildete sie ab 1968 aus Aluminiumblech Gegenstände aus der Alltagswelt der Hausfrau in Echtgröße nach, etwa Kleidungsstücke, Möbel und Haushaltsgegenstände. Anfang der 1970er Jahre pausierte sie erneut, um zehn Jahre lang an den Projekten ihres Mannes mitzuarbeiten.
Anfang der 1980er Jahre kehrte Burghardt mit Zeichnungen zurück, die sich mit fiktiven Biografien als Medium der Selbstreflexion beschäftigen. Darunter sind 17 Porträts von unbekannten Menschen, die im Schatten berühmter Künstler stehen. Burghardts Werk zumindest rückt mit der Kölner Ausstellung nun wieder ins Licht.