Weimar im Faust-Fieber: Mit einem Themenjahr soll wieder Lust auf die Lektüre von Goethes Klassiker gemacht werden, gerade auch für Jüngere. Drei Ausstellungen zeigen, wie modern Faust und Mephisto heute noch sind.
Goethes “Faust” – viele haben in der Schule darüber geschwitzt. Selbst wer ihn nie las, weiß meist in groben Zügen, worum es geht, kennt das ein oder andere Zitat, wie die Gretchen-Frage: “Wie hast du’s mit der Religion?” Doch passt der Literatur-Klassiker eigentlich noch in die heutige Zeit? Absolut – ist man in Weimar, wo der Faust I und II entstanden sind, überzeugt. Die Klassik Stiftung Weimar möchte nichts weniger, als neue Lust auf Faust machen, für Liebhaber, Einsteiger und Skeptiker. Mit einem eigenen Themenjahr “Faust”.
Anlass ist die Ankunft Goethes in Weimar vor 250 Jahren. Der damals 26-Jährige hatte schon erste Faust-Entwürfe im Gepäck. Bis wenige Tage vor seinem Tod 1832 im Alter von 82 Jahren beschäftigte er sich mit dem Stoff. Und nach ihm Generationen von Nachgeborenen. Faust ist unumstritten Weltliteratur. Am Mittwochabend wird nun – pünktlich zur Walpurgisnacht – das Themenjahr eröffnet. Wobei es sicher weniger orgiastisch als in Goethes entsprechender Faust-Szene zugehen wird. Dennoch: “Wir wollen Weimar faustisch zum Vibrieren bringen”, kündigte die Präsidentin der Klassik-Stiftung, Ulrike Lorenz, am Dienstag vor Journalisten an.
“Faust ist der Prototyp des modernen Menschen, der sich immer wieder neu erfindet, dafür alle modernen Mittel ausschöpft und sich zugleich nach und nach von allen sozialen Bindungen entkoppelt”, fasst es Petra Lutz zusammen. Sie ist Kuratorin der Hauptausstellung “Faust” im Schiller-Museum. Die Schau will mit einer poppig-bunten Gestaltung, mit Video- und Audioinstallationen und Comic-Elementen gerade auch Jüngere ansprechen. “Wir versuchen damit den Lese-Gewohnheiten entgegenzukommen, aber auch thematisch ist Faust hochaktuell”, sagt Lutz. So begegnet man Faust als Unternehmer, Kapitalist und Ausbeuter, als unglücklich Liebendem, als religiösem Zweifler und neugierigem Forscher, der mit dem “Homunculus” quasi die erste Künstliche Intelligenz erschafft, wie Lutz es formuliert.
In einer Art Kissen-Lounge können Besucher abhängen und sich bei schummrigem Licht eine visuelle und akustische “Sprachdusche” Goethe gönnen: Verse aus dem Faust werden vorgelesen. An den Wänden hängt eine Auswahl von Goethes schönsten Wortschöpfungen, die individuell arrangiert werden können: Zeitenstrudel, Freudenbeben, Himmelsklarheit, Seelenschönheit, Flüsterzittern, Geisterzahn…
Faust ist natürlich nicht ohne seinen Gegenspieler Mephistopheles zu denken. Als Faust ihn fragt, wer er sei, bringt er sein ganz persönliches Dilemma so auf den Punkt: “Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.” Im Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist ihm nun eine eigene Schau gewidmet: “Teuflisch! Mephisto in der Bibliothek”.
Im Fokus stehen die Vielgestaltigkeit des Mephistopheles und sein Weg zur ikonischen Figur: Mephisto in Buchillustrationen – dargestellt etwa mit Schlange und Apfel wie beim biblischen Sündenfall im Paradies, aber auch als Motiv auf Notgeld während der Inflation, als Sammelbildchen-Serie von Liebigs-Fleischextrakt, als Werbeträger, Schallplattencover, Comic-Held, selbst eine Biersorte “Mephisto Weisse” gab es. Für Kuratorin Claudia Streim ist Mephisto sowieso der eigentliche Held: “Er hat im Faust den größten Textanteil. Er ist es, der die Handlung ins Rollen bringt und Faust überhaupt antreibt – auch zu leben.”
Als Faust sich mit der Übersetzung des Johannes-Evangeliums müht, jammert er: “Geschrieben steht: ‘Im Anfang war das Wort!’ Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen”. Das Goethe-Schiller-Archiv indes schätzt das Wort, insbesondere das geschriebene, und beherbergt mit Goethes handschriftlichem Nachlass die weltweit umfangreichste Sammlung von Manuskripten zu Faust I und Faust II.
Deutschlands ältestes Literaturarchiv steuert zum Themenjahr die Ausstellung “Experiment Faust” bei, präsentiert selten gezeigte Manuskripte und gibt Einblicke in den kreativen Schaffensprozess des Meisters. Es gehe darum zu zeigen, warum Goethe sein Leben lang von dem Stoff fasziniert war, so die Kuratoren. Auf unzähligen Zettelchen, Heftseiten und auch mal Bilderrücken habe er Ideen für den Faust notiert.