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Fachleute: Suizidprävention wirkt – solange man am Ball bleibt

Am Samstag endet der Deutsche Psychotherapie-Kongress. Einen Schwerpunkt im Programm bildete die Frage, wie Selbsttötungen sich vermeiden lassen. Ein schwieriges Thema, das auch die Politik umtreibt.

“Warum bin ich so komisch?”, “wird mich jemals jemand mögen?” oder schlicht “ich bin fertig”: auf den ersten Blick typische Teenager-Sätze. Doch manchmal steckt mehr dahinter als eine schwierige Phase, warnt die US-Psychiaterin Joan Asarnow. Denn: Die Suizidraten unter jungen Menschen bleiben hoch. Wie man Selbsttötungen verhindern und Suizidgedanken stoppen kann, war ein zentrales Thema beim Deutschen Psychotherapie-Kongress, der am Samstag in Berlin zu Ende geht.

Jugendlichen falle es schwerer als Erwachsenen, sich selbst zu regulieren, betont Asarnow. Wenn sie anhaltende Verzweiflung, ein Gefühl von Verlorenheit oder geringem Selbstwert schilderten, gelte es daher, schnell zu handeln. Eine Maßnahme: den Zugang zu möglichen Methoden beschränken, etwa Medikamente oder Messer sicher verstauen.

Auch auf politischer Ebene wird gefordert, etwa den Zugang zu Bahngleisen oder hohen Gebäuden besser zu kontrollieren. Anfang Mai hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Nationale Suizidpräventionsstrategie vorgestellt – Fachleute dringen zudem darauf, bestehende Angebote rechtlich abzusichern.

Die Politik sehe den “brennenden Bedarf”, betonte Silke Heinemann auf dem Kongress. Die Abteilungsleiterin im Bundesgesundheitsministerium vertrat Lauterbach als Schirmherrn der Veranstaltung. Vorgesehen sind demnach eine zentrale Anlaufstelle, ein besseres Monitoring sowie die Schulung von Fachkräften.

Untersuchungen aus den USA belegen den Erfolg von umfassender Prävention, sagt Expertin Asarnow. Gezielte Programme seien aufwendig und teuer, ebenso eine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit. Dies sei jedoch notwendig, um Menschen etwa nach einem Klinikaufenthalt in kritischen Momenten begleiten zu können, ihnen zu helfen, das Gelernte anzuwenden. “Prävention wirkt – aber man muss am Ball bleiben.”

Zu der Frage, was digitale Technologien in diesem Zusammenhang leisten können, forscht die Freiburger Psychologin Rebekka Büscher. Ergebnis: Es ist kompliziert – und viele Faktoren sind noch kaum untersucht. So gibt es laut Büscher zu Videotherapien oder einer Verzahnung von digitalen und Vor-Ort-Angeboten (“Blended Care”) wenig belastbare Daten.

Selbsthilfe-Programme gelten als kostengünstig, schnell verfügbar und niedrigschwellig – im Gegensatz zu Psychotherapien, auf die Erkrankte oft lange warten müssen. Zudem wünschten sich viele Menschen, ihr Problem allein lösen zu können, erklärt die Expertin. Doch der wachsende Markt an digitalen Hilfsmitteln ist schwer überschaubar – und während manche Programme laut Büschers Forschung zumindest die Gedanken an Suizid zu reduzieren helfen, werden andere rasch abgebrochen.

Auch erklärte fast die Hälfte der Menschen in Deutschland in einer Umfrage, digitale Interventionen seien nichts oder gar “absolut nichts” für sie. Büscher spricht sich für mehr Aufklärung darüber aus, wie solche Maßnahmen aussehen und ablaufen können.

Bislang sei suizidales Verhalten kaum vorhersagbar – weder mit klinischer Beobachtung noch über Risikofaktoren, zu denen beispielsweise frühere Suizidversuche oder Selbstverletzung zählen. Asarnow betont die zentrale Rolle von engen Bezugspersonen: Sie müssten in therapeutische Maßnahmen einbezogen werden, um Alarmzeichen zu erkennen, Betroffene in schwierigen Zeiten aber auch etwa zum Sport oder dem Nachgehen von Hobbys zu ermutigen.

Betroffene wiederum könnten eine Art Sicherheitsplan entwickeln: Dazu zähle etwa, eigene Stärken zu nutzen, hilfreiche Gedanken, Handlungen und Menschen im Umfeld zu kennen. “Das Ziel ist, rechtzeitig zu merken, wenn man in die Gefahrenzone gerät”, so die Psychiaterin.

Im Alltag könne es immer wieder solche “Kippmomente” geben, sagt auch Büscher – etwa zwischen zwei Therapiesitzungen. In solchen Situationen könnten “just in time”-Angebote auf dem Smartphone durchaus helfen. Ebenso könnten elektronische Tagebücher, in die etwa mehrmals am Tag kurze Einträge zu Symptomen erfolgen, einen Beitrag leisten. Derzeit sei dies aber eher als begleitende Maßnahme sinnvoll – und weniger als primäre Behandlungsform.