Lebensumbrüche, fehlende Medienkompetenz und gezielte Desinformation im Netz machen ältere Menschen besonders empfänglich für Esoterik und Verschwörungstheorien, sagt Expertin Sarah Pohl. Von Kontaktabbrüchen rät sie ab.
Die über 50-Jährigen sind nach Angaben einer Expertin besonders anfällig für Esoterik und Verschwörungstheorien. Diese Generation radikalisiere sich verstärkt, erklärte die Pädagogin Sarah Pohl im Interview der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (Mittwoch). Pohl arbeitet in der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen in Baden-Württemberg und hat zuletzt mit Mirijam Wiedemann das Buch “Abgetaucht, radikalisiert, verloren?” veröffentlicht.
Während der Corona-Pandemie habe die Beratungsstelle innerhalb kürzester Zeit Hunderte Anfragen zu Verschwörungstheorien bekommen. “Dabei waren es im Gegensatz zu früher nur selten Eltern, die wegen ihrer Kinder angerufen haben. Stattdessen haben uns besorgte Söhne und Töchter zwischen 20 und 40 angerufen”, berichtete Pohl. Deren Mütter hätten den Familien-Chat geflutet, Väter hätten versucht, ihre Kinder davon zu überzeugen, sich nicht impfen zu lassen.
Laut Pohl springen ältere Menschen stärker auf Alternativmedizin und verschwörungsnahe Themen an. Die Radikalisierung erfolge oft schleichend, weil ihnen häufig das soziale Umfeld als Korrektiv fehle. Zudem neigten ältere Menschen eher dazu, nicht kritisch zu hinterfragen. “Eine Erklärung ist, dass ältere Menschen früher gar nicht den Bedarf hatten, kritisch zu sein – ein Ausdruck von einem Grundvertrauen in Medien und ihre Arbeit.”
Anfällig für Verschwörungstheorien sei die Generation 50plus vor allem aber deswegen, weil es in diesem Lebensalter häufig noch einmal einen Umbruch gebe: Die Kinder zögen aus, der Renteneintritt rücke näher. Auch Krankheit und Tod spielten eine stärkere Rolle. “All das sind Faktoren, die einen Menschen noch mal vulnerabel und anfällig dafür machen können, in alternativmedizinische Welterklärungsmodelle zu rutschen oder sich leichte Schwarz-Weiß-Antworten zu suchen, die Komplexität zu reduzieren”, so Pohl.
Im digitalen Raum würden dieser Generation außerdem seit einer Weile gezielt Angebote gemacht, die solche einfachen Erklärungen anbieten und Sündenböcke benennen. “Sie glauben, was sie da lesen, und rutschen peu à peu in eine Filterblase.” Angehörigen und Freunden rät Pohl von einem Kontaktabbruch ab: “Ich habe noch keinen Fall gehabt, in dem jemand gesagt hat: ,Oh, meine Tochter hat den Kontakt abgebrochen. Jetzt höre ich auf, an so was zu glauben.'” Für viele sei es sogar eher ein “Push”, sich noch stärker an diejenigen anzubinden, die das Gleiche glaubten.
Stattdessen helfe es, zu schauen, wo es “neutrale Inseln” gebe. “Verschaffen Sie sich Zeit, in der es nicht um das strittige Thema geht, aber in der Sie trotzdem den Kontakt halten können – zum Beispiel durch gemeinsames Kochen oder Spazierengehen”, empfiehlt die Beraterin. Damit verhindere man, dass jemand wirklich tief in seine Filterblase hereinrutsche.