In der Debatte über die Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia fällt ein Name immer wieder: Lothar von Trotha. Im Kampf gegen aufständische Einheimische gab der deutsche Truppenchef am 2. Oktober 1904 seinen “Vernichtungsbefehl” aus. Darin kündigte er an, dass die Herero das Gebiet der Kolonie Deutsch-Südwestafrika zu verlassen hätten. “Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.”
Wie kam es zu diesem monströsen Befehl – und wie blickte Trotha auf sein Tun? Gemeinsam mit seinem Kollegen Matthias Häussler hat Historiker Andreas Eckl die bislang unveröffentlichten Tagebücher Trothas aus der Zeit zwischen Mai 1904 und Dezember 1905 editiert. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) warnt Eckl, der am Institut für Diaspora- und Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum forscht, vor vorschnellen Schlüssen.
KNA: Herr Eckl, war Lothar von Trotha ein Völkermörder?
Eckl: Ja. Aber uns ging es nicht um die Frage, ob Trotha ein böser Mensch war. Um zu beurteilen, ob es sich bei den Kriegen gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika um einen Genozid handelte, müssen wir stattdessen klären: Stand eine Intention dahinter? Und dafür sind diese Tagebücher natürlich eine herausragende Quelle, weil sie von dem Oberbefehlshaber dieses Feldzugs stammen.
KNA: Was genau kennzeichnet einen Völkermord, einen Genozid, aus Sicht des Historikers?
Eckl: Für uns ist ein Genozid vor allem durch außergewöhnliche, systematische und geplante Massengewalt geprägt, die über einen längeren Zeitraum toleriert wird. Dafür blicken wir auf die Strukturen, die das Geschehen ermöglicht haben. Denn wir wollen ja wissen, wie es zu diesem Ergebnis kam. Da sind die persönlichen Motive Trothas eher zweitrangig. Verantwortlich ist er natürlich trotzdem.
KNA: Versuchen wir es etwas allgemeiner: Was war Trotha für ein Mensch?
Eckl: Ich glaube, da muss man sehr vorsichtig sein. Wir haben uns sehr intensiv mit diesen Tagebüchern befasst. Natürlich kommt man dem Menschen, der das geschrieben hat, unwillkürlich immer näher. Man glaubt, ihn verstehen zu können. Aber so ist es natürlich nicht. Ich kenne nur die Figur, die er in seinem Tagebuch zeichnet. Trotha war ein sehr berechnender Mensch. Das heißt nicht, dass er nicht auch emotional reagierte, aber er dachte stets die Konsequenzen seines Handels mit.
KNA: Das klingt jetzt aber nicht so, als böten die Tagebücher Trothas spektakuläre Erkenntnisse.
Eckl: Oh doch! Das Tagebuch war ja nicht für eine Öffentlichkeit bestimmt. Und mit der Zeit, mit all den Rückschlägen, gibt er nolens volens auch immer mehr von sich preis. Man kriegt ein Bild davon, wie er sich das anfangs vorstellte und wie es dann tatsächlich lief. Wir haben nach einer Erklärung für das Auftreten Trothas gesucht. Sein Handeln basiert auf Überzeugungen, die er nicht hinterfragt. Er ist kompromisslos, sehr hart – auch gegen sich selbst. Er will die Kolonie befrieden, dauerhaft, und hierfür sieht er ein Vorgehen als alternativlos an.
KNA: Besaß er Rückendeckung aus Berlin?
Eckl: Wilhelm II. hat Trotha das Kommando überantwortet, weil Gouverneur Theodor Leutwein daran scheiterte, den Aufstand niederzuschlagen. Eigentlich wollte niemand Trotha haben – der Kaiser aber schon. Der Grund dürfte in seinen früheren Kolonialeinsätzen zu finden sein. Dafür müssen wir an seine bislang vollkommen unbekannten Tagebücher aus Ostafrika und China ran. Aber das sind Tausende nicht eben einfach zu lesender handschriftlicher Seiten.
KNA: Wie ließ sich der Einsatz in Deutsch-Südwestafrika für Trotha aus seiner Sicht an?
Eckl: Zunächst prima. Es werden Tausende Soldaten ins Land gebracht, Etappen aufgebaut, Lager eingerichtet, Ochsen und Pferde angeschafft, letztere sogar aus Argentinien. Trotha ist davon überzeugt, die Herero vernichtend zu schlagen. Bis dahin ist der Einsatz in Südwestafrika die Krönung seiner militärischen Karriere. Mit 55 Jahren ist er für damalige Begriffe sehr alt. Er kokettiert damit, schreibt an seinem Geburtstag etwa: “Pfui Teufel. Oft kann ich diesen Tag nicht mehr wiederholen.” Und trotzdem, man darf nicht vergessen: Das war der begehrteste Job im Kaiserreich überhaupt.
KNA: Warum?
Eckl: In dieser militaristischen Gesellschaft, die seit 30 Jahren ohne jeden Krieg ist, kommt endlich ein richtiger Waffengang – so hat man das damals gesehen. Und mit diesem Enthusiasmus geht Trotha die Sache an.
KNA: Wie hat man sich das vorzustellen?
Eckl: Als erstes richtet er im Prinzip eine Militärdiktatur ein. Das alleinige Sagen zu haben ist ihm von Anfang an von größter Wichtigkeit. In den ersten Monaten bis zu den Gefechten am Waterberg treibt ihn nur die Sorge um, dass sich die Herero zerstreuen. Genau das passiert aber schließlich zu seinem großen Ärger im Anschluss an die Kämpfe und die Deutschen haben darauf nur eine Antwort: die Verfolgung. Bis Waterberg läuft es ganz gut für Trotha, nach Waterberg läuft unglaublich viel schief. Der beratungsresistente Truppenchef greift zu immer radikaleren Maßnahmen und setzt damit den Völkermord in Gang.
KNA: Der Militär als Mörder.
Eckl: Trotha war vor allem eins, Funktionär. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt wusste er natürlich um die Konsequenzen seiner Handlungen. Was er zuvor billigend in Kauf nahm, vertrat er dann mit Vehemenz.
KNA: Das brutale Vorgehen Trothas rief in Deutschland bald Kritik hervor. Hat das etwas mit ihm gemacht?
Eckl: Die Debatte hat ihn sehr beschäftigt, und wie! Er hat ja auch während des Feldzugs die Tageszeitungen, auch die aus dem Reich, studiert und war insofern immer gut informiert.
KNA: Im November 1905 endet der Einsatz Trothas, danach verschwindet er in der Versenkung.