Der Attentäter vom Magdeburger Weihnachtsmarkt litt an einer psychischen Erkrankung. Fachleute warnen jedoch vor Klischees und Stigmatisierung: Sie schadeten psychisch erkrankten Menschen.
Eine “überwältigende Mehrheit” psychisch erkrankter Menschen wird nach Worten eines Psychiaters niemals gewalttätig. Dennoch sei die Stigmatisierung groß, sagte Bernhard Bogerts im Interview des “Tagesspiegel” (Montag). Häufig werde überschätzt, wie viele Betroffene zu Gewalt neigten: 95 Prozent von ihnen seien – im Vergleich zu 98 Prozent der Gesamtbevölkerung – nicht gewalttätig; “geschweige denn, dass sie Amokläufe oder Terroranschläge begehen”.
Umgekehrt lasse sich bei der Hälfte derjenigen, die schwerste Gewaltverbrechen begehen, eine psychische Erkrankung nachweisen. “Schizophrene Psychosen gehen mit einer geringgradigen Erhöhung des Gewaltrisikos einher”, so der Hirnforscher. Diese Störung betrifft etwa ein Prozent der Weltbevölkerung.
Manche Präventionsprogramme haben sich laut Bogerts darauf spezialisiert, Warnsignale zu erkennen. Dazu könnten depressive Zustände zählen, vermehrter Argwohn und sozialer Rückzug. Aber: “Viele Betroffene brüten ihre Wahnvorstellungen oder Gewaltfantasien im Verborgenen aus.” Wenn jemand entsprechende Andeutungen mache, etwa über Rache oder eine geplante Gewalttat, gelte es, dies ernstzunehmen und nachzuhaken.
Wer an einer Psychose erkranke, nehme die Realität anders war, erklärte der Psychiater. “Typisch sind wahnhafte Symptome: Betroffene fühlen sich verfolgt oder bedroht, oft hören sie Stimmen.” Die Entwicklung erfolge meist langsam und könne durch Drogenkonsum, aber auch etwa Verletzungen am Gehirn ausgelöst werden.
Das Vorliegen einer psychischen Erkrankung mache niemanden automatisch unzurechnungsfähig, mahnte Bogerts. Zudem seien psychische Störungen in organisierten Terrorgruppen selten, eher seien Einzeltäter davon betroffen wie zuletzt der Attentäter von Magdeburg. “Die Kombination aus einer psychischen Erkrankung und radikalen Überzeugungen kann das Gewaltpotenzial erhöhen.”
Wenn Wahnvorstellungen, Verfolgungswahn oder Halluzinationen aufträten, sei dies ein Grund für eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Mitunter misstrauten Betroffene auch Ärzten oder Therapeutinnen, weil sie ihre eigene Fehlwahrnehmung als real erlebten. Zugleich bemerkten viele vor allem im Frühstadium, dass ihre Psyche belastet sei. Grundsätzlich seien die Behandlungsperspektiven gut, betonte der Experte.