Kirchen und NGOs kümmern sich um viele soziale Probleme. Der Moderator des Reformierten Bundes, Bernd Becker, findet, dass das nicht reicht. Er ermutigt zusätzlich zur Eigeninitiative eines jeden und zur Hilfe im persönlichen Umfeld – soweit das möglich ist.
Um uns herum sehen wir zunehmende Probleme: Armut, Klimawandel, politische Spannungen. Trotzdem werden nur wenige Menschen aktiv. Hilfe ist oft institutionalisiert: NGOs, Kirchen, Diakonie und viele weitere Einrichtungen bieten Unterstützung. Sind wir heute zu verwöhnt?
In unserem Land kümmern sich Staat und große Träger wie die Kirchen schon um viele Probleme wie zum Beispiel Armut, Migration, Bildung und Pflege. Ich glaube deshalb tatsächlich, dass die Menschen hier ein bisschen verwöhnt sind. Aber ich glaube auch, dass die Menschen immer mehr merken: Das alleine reicht nicht. Die Schlangen bei den Essen, bei den Mittagstischen werden länger. Es gibt Menschen, die auf den Straßen leben. Migrantinnen und Migranten, die abgewiesen werden, müssen zurückkehren. Sie alle brauchen Unterstützung. Staat und Kirchen können das nicht alleine übernehmen. Das reicht nicht. Jeder und jede sollte deshalb auch etwas in ihrem Umfeld tun, um anderen Menschen zu helfen.
Sind wir also faul geworden?
Faulheit ist nicht unbedingt das Problem. Ich sehe eher eine gewisse Bequemlichkeit. Man hat sich in seinem Leben eingerichtet. Man sieht auch Probleme: zum Beispiel Obdachlosigkeit oder Armut. Aber man braucht ein Ruck, sich aufzuraffen und etwas dagegen zu tun. In meinen Umfeld kann ich sehen, wo ich meine Lebensumstände und die anderer Menschen verbessern kann.
Wie kann man aufstehen gegen soziale Probleme und eventuell auch gegen gegnerische Menschen – ohne Fronten zu verhärten?
Es gibt Menschen, die ganz anders sind als ich oder auch gegen mich. Oder auch gegen deren Sicht der Dinge ich selbst bin. Man muss seine eigene Überzeugung trotzdem laut machen. Sonst werden die anderen lauter: auch die Menschen, die unsere Gesellschaft spalten wollen. Wenn ich Menschen helfen möchte und die Situation verbessern möchte, will ich auch etwas dafür tun. Da kann ich mich nicht um des Friedens willen nicht kümmern.
Ändert sich daran etwas inzwischen? Werden Menschen bei zunehmenden Problemen in Deutschland aktiver?
Heute beobachte ich, dass Menschen unheimlich nervös und dünnhäutig geworden sind. Das liegt an der Weltlage: In unserem Land brodelt es politisch: Die Ampelkoalition ist gescheitert, wir stehen vor einer neuen Regierung, im Parlament finden sich viele Rechte. Auch im Ausland und in Ländern wie der USA in Ungarn ist die Demokratie in Gefahr. Deshalb ist es meine Hoffnung, dass mehr Menschen die Wichtigkeit erkennen, sich aktiv einzusetzen. Es geht um den Schutz der demokratischen Kultur. Sonst bekommen wir ein Land, wie wir es schon einmal hatten, und das wollen wir doch nicht.
Welche Aufgabe kommt der Kirche zu?
Aus meiner Sicht gehört der Einsatz für soziale Gerechtigkeit zur DNA der Kirche. So steht es in der Bibel. Anders kann Kirche gar nicht sein. Oft wird Kirche vorgeworfen, sie sei zu politisch. Gerechtigkeit meint aber nicht nur Parteipolitik. Sondern es geht darum, Probleme im Land anzupacken. Das ist immer auch ein bisschen politisch. Kirchen dürfen aber auf gar keinen Fall aufhören, sich dafür einzusetzen.
Das Interview führte Isabel Barragán von der Online-Redaktion reformiert-info des Reformierten Bundes in Deutschland.
Bernd Becker ist einer der drei Herausgeber:innen von evangelische-zeitung.de