Jonathan Löchelt sitzt auf der alten Holzbank und blinzelt in die Abendsonne, die gerade noch den Kirchhof bescheint. Der 36-Jährige wirkt zufrieden an diesem warmen Frühlingstag. Sein Blick fällt auf die alten Mauern der altehrwürdigen Simeoniskirche, die im Kern auf das 13. Jahrhundert zurückgeht. Sie ist die Namenspatronin des Gebäudes hinter ihm, das seit wenigen Monaten sein Leben bestimmt: die Simeons Herberge. Seit Anfang des Jahres ist er dort Projektleiter. Auch wenn noch vieles im Aufbau ist – für Jonathan Löchelt ist es ein Traumjob mit viel Freiraum und Kreativität.
Der Vater zweier Söhne (vier Jahre und acht Monate) ist viel herumgekommen. Seine Eltern waren im Sozial- und Missionsdienst in Südafrika, als Kind war er dabei. Später nutzte er den Zivildienst für einen Auslandsaufenthalt. Dann studierte er in Münster Theologie, Sport und Deutsch auf Lehramt. „Während meines Studiums habe ich
dann überlegt, noch auf Volltheologie zu wechseln, bin dann aber doch beim Lehramt geblieben“, erzählt er. Gemeinsam mit seiner aus Vlotho stammenden Frau wohnte und arbeitete er schließlich in Kassel, unterrichtete an einer Schule, während seine Frau dort an der CVJM-Hochschule als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete.
Lust auf etwas Neues – auf ein „Familienprojekt“
Bis vor einigen Monaten. Denn dann hörten sie durch einen Freund von einer Stelle in Minden, einer vielleicht einzigartigen Stelle. Von der Möglichkeit, hier etwas ganz Neues anzufangen: Der christliche Verein „Weitere Wege“ war auf der Suche nach einem Herbergsvater mit Ambitionen. Nach mehreren Vorgesprächen und gemeinsamen Überlegungen fasste das Paar den Entschluss, hängte die sichere Existenz an den Nagel und wechselte in eine unge-
wissere Zukunft. „Ich hatte Lust, noch mal etwas Neues anzufangen. Wir haben uns bewusst dafür entschieden – und auch, das als Familienprojekt zu machen.“ Noch ist seine Frau in Elternzeit, bald wird aber auch sie mitmischen.
Die Simeons Herberge in Minden gibt es seit Oktober 2017. Das ehemalige Pfarrhaus der Kirche stand leer, schließlich begrüßte der Kirchenkreis die Idee, hier etwas Neues entstehen zu lassen und übergab das Gebäude dem Verein „Weitere Wege“. Der Verein renovierte das alte Haus in Eigenregie und mit Spendengeldern. Heute stehen in drei Gästezimmern 18 Schlafplätze in dreistöckigen Betten zur Verfügung, es gibt Duschen, Badezimmer, Aufenthaltsräume und eine Selbstversorgerküche.
Das Angebot steht Gruppen ebenso offen wie Pilgern oder Privatreisenden. Doch gleichzeitig soll die Herberge noch viel mehr sein: Ein Begegnungszentrum für den durchmischten Stadtteil obere Altstadt, eine Anlaufstelle für die Menschen – und vielleicht eine Keimzelle für ein neue entstehende christliche Gemeinschaft. „Herein- und Heraus-Haus“ ist der Beiname, den sie der Herberge gegeben haben: Es soll nicht nur Menschen Geborgenheit bieten, sondern auch nach außen wirken und strahlen.
Jonathan Löchelt ist nicht der erste, der diese Stelle bekleidet. Vor ihm gab es eine Herbergsmutter, die ein Jahr im Amt war. „Die hätte die Arbeit auch weitergemacht, hätte dafür aber woanders hinziehen wollen“, sagt Friedrich Kasten, Vorstand des Vereins „Weitere Wege“. Denn eine große Herausforderung der Stelle ist es, sich selber abzugrenzen und sich mit den verschwimmenden Grenzen zwischen Freizeit und Beruf zu
arrangieren. „Die Arbeit lebt davon, dass man vor Ort ist“, erklärt der Vereinsvorstand. „Man muss sich selber abgrenzen, das ist eine der großen Herausforderungen der Stelle.“
Jonathan Löchelt wohnt mit seiner Familie in direkter Nachbarschaft. Und er hat viel vor. Seine ebenfalls aus Spenden finanzierte und für die nächsten anderthalb Jahre gesicherte Stelle füllt er mit vielfältigen Tätigkeiten aus. „Es braucht zunächst eine Struktur. Immer sind bürokratische und organisatorische Sachen wie die Buchungen der Herberge zu tun und auch zu schauen, dass im Haus alles in Schuss ist. Und dann geht es um die weitere inhaltliche Ausgestaltung, also konzeptionelle Arbeit.“
Kontakt zu den Menschen vor Ort aufbauen
Die Herberge ist jetzt schon ein Ort für regelmäßige Treffen: Einmal im Monat gibt es hier einen Frauen-Kochabend und einen Spieleabend. Jeden Mittwoch steht sie für den regelmäßigen Feierabend offen, zu dem die Menschen aus dem Stadtteil Lebensmittel mitbringen, die sie dann gemeinsam essen, anschließend gibt es ein Stadtteilgebet in der Kirche.
Und dann sind da die vielen anderen Dinge, die sich Verein und Herbergsvater vorgenommen haben. Im Moment führt der Herbergsvater dafür hauptsächlich Gespräche, knüpft Kontakte, spricht mit Akteuren im Viertel, mit engagierten und weniger engagierten, mit Geschäftsleuten, Gastronomen, den Pfarrern vor Ort. Er plant Aktionen wie ein Lagerfeuer an Ostern mit Eiersuche für die Kinder, Waffelessen, Wohnzimmerkon-
zerte. Er spricht mit den Menschen, die vorbeikommen.
„Viele Menschen hier stehen vor großen Herausforderungen im Leben“, sagt Jonathan Löchelt. „Ich versuche zu ihnen Kontakt aufzubauen. Ich höre viel zu, will die Bedürfnisse erkennen, ohne denen gleich eine Frikadelle ans Ohr zu labern“, erklärt er. „Und dann gibt es manchmal die Gelegenheit, zu erzählen, wie das mit Jesus so ist, wie er auf die Menschen zugegangen ist.“
Es gibt viel zu tun in Mindens Oberer Altstadt. Bald schon müssen neue Spenden her, damit Jonathan Löchelt und seine Familie weitermachen können. „Wir hoffen, dass wir bis dahin Leute gefunden haben, die das Projekt weiter unterstützen, vielleicht mit Patenschaften“, sagt der Projektleiter. Und stellt klar: „Wir sind hier ja nicht nur für ein paar Jahre hergekommen!“
N Weitere Informationen im Internet: simeons-herberge.de; weitere-wege.de.