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Erster Prozess nach Ausschreitungen in Chemnitz 2018

Mehr als fünf Jahre nach mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Ausschreitungen in Chemnitz beginnt am Montag der Prozess gegen mehrere Beschuldigte. Den Männern im Alter zwischen 26 und 51 Jahren werden Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen, teilte das Landgericht Chemnitz am Donnerstag mit. Die Angriffe hatten sich am 1. September 2018 nach einem sogenannten Trauermarsch von AfD, Pegida und Pro Chemnitz ereignet (4 KLs 373 Js 46/20).

Vorausgegangen war ein tödlicher Messerangriff gegen einen Chemnitzer am Rande des Stadtfestes Ende August. Am 1. September wurden Teilnehmer einer Gegendemonstration mutmaßlich von Rechtsextremisten angegriffen. Elf Menschen waren dabei verletzt worden. Augenzeugen und Opferberatungsstellen sprachen von einer „Neonazi-Hetzjagd“.

Der Prozess findet vor dem Landgericht Chemnitz statt. Es ist das erste von drei Verfahren mit insgesamt 27 Beschuldigten. Allerdings wurden zwischenzeitlich sieben Verfahren ohne Verhandlung eingestellt, zum Teil gegen Geldauflagen. In dem am Montag beginnenden ersten Prozess stehen nur sechs der zunächst neun Angeklagten vor Gericht. Zwei der beschuldigten Männer seien untergetaucht, gegen einen dritten sei das Verfahren eingestellt worden, hieß es.

Die Anwältin eines Nebenklägers, Kati Lang, betonte, bei den Ereignissen im September 2018 habe es sich um einen „Schulterschluss der extrem Rechten“ gehandelt. Auch der spätere Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU), Stephan E., sei unter den Demonstranten gewesen sein. Der hessische Rechtsextremist E. wurde Anfang 2021 verurteilt.

Lang kritisierte das Landgericht Chemnitz. Es sei nicht mit den für solch ein Verfahren notwendigen Erkenntnissen vorgegangen. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits vor mehr als zwei Jahren, im Herbst 2021, Anklage erhoben.

Lang vertritt einen Mandanten, der am 1. September 2018 mehrere Faustschläge im Gesicht sowie Tritte erleiden musste. Insgesamt gibt es Lang zufolge fünf Nebenkläger. Die Angeklagten kämen aus der Braunschweiger Neonazi-Szene, aus Dortmund und Sachsen, sagte sie.

Anwälte von Betroffenen hätten mit dem Chemnitzer Gericht sowohl um die Zulassung von Nebenklägern als auch immer wieder um Akteneinsicht gestritten, sagte Lang. Eine der drei Kammern im Verfahren reagiere gar nicht. Lang attestierte dem Gericht „ganz viel Unwillen, dieses Verfahren zu organisieren“. Es habe sich „kein Ruhmesblatt für die Aufklärung rechter Gewalttaten“ erworben.

Andre Löscher von der Opferberatung RAA Sachsen, bestätigte: Nach gut fünf Jahren gebe es bei Betroffenen Ärger und Frust über die lange Dauer der Aufarbeitung. Dies sei eine hohe Belastung für Geschädigte. Für Betroffene stehe nicht die Strafhöhe im Vordergrund, sondern dass der Prozess überhaupt stattfindet, sagte Löscher.

Nach der tödlichen Messerattacke im August 2018 in Chemnitz war ein Jahr später ein Syrer wegen Totschlags verurteilt worden. Die Bewertung der massiven Proteste von 2018 hatte nachträglich die Versetzung des damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, in den einstweiligen Ruhestand zur Folge.