Unterschiedliche Trends zu Ernährung und Training kursieren auf TikTok, YouTube und Co. Diese haben auf Jugendliche oft großen Einfluss. Wenig bekannt: Auch Sehnsucht nach Muskeln kann gestörtes Essverhalten fördern.
Influencer auf Social Media werben für Schminke, Süßigkeiten, manche auch für einen bestimmten Lifestyle. Insbesondere Jugendliche lassen sich laut Studien leicht durch diese Botschaften beeinflussen. Gerade für Schönheitsideale sind junge Konsumentinnen und Konsumenten demnach anfällig. Nicht wenige männliche YouTuber, Instagrammer oder TikToker zeigen sich oberkörperfrei mit trainiertem Sixpack. Auch extrem trainierte Frauen machen Sport und Ernährung zu ihren Themen. Sie sprechen in Videos über Ernährung und Training und werben wie nebenbei für Nahrungsergänzungsmittel.
Wann, wie oft und was essen, um besonders effektiv trainieren zu können? Das sind Fragen, über die stundenlang gesprochen wird. Ein auffälliger Ansatz nennt sich “One Meal a Day” – eine extreme Form des Intervallfastens, bei dem nur einmal am Tag gegessen wird. Influencer machen kurze Selbsttests oder berichten über ihre Erfahrungen nach mehreren Jahren. Ihre Videos verzeichnen Tausende oder Hunderttausende Aufrufe.
Doch Fachleute schlagen Alarm: Im schlechtesten Fall können diese Konzepte krank machen. “Wir haben mehrmals wöchentlich Anfragen von Eltern, deren Kinder eine Essstörung oder einen Sportzwang entwickelt haben”, sagt die Vorsitzende des Bonner Zentrums für Essstörungen, Annette Bonse. Mindestens für die Hälfte habe Social Media den Ausschlag gegeben: Die Jugendlichen stoßen online auf Workouts und auf Ernährungsthemen. Dann schlägt ihnen der Algorithmus immer wieder entsprechende Inhalte vor. Das kann die Entwicklung von verschiedenen psychischen Störungen beschleunigen.
Neben den Essstörungen Magersucht, Bulimie oder “Binge Eating” sind Jugendliche immer häufiger von sogenannter Orthorexie betroffen – die extreme Beschäftigung mit vermeintlich gesunder Ernährung. Die Betroffenen meiden immer mehr Lebensmittel und bauen sogar Ängste vor diesen auf. Auch die “Bigorexie” hat laut Bonse zugenommen. Bei dieser Muskelsucht muss der Körper immer muskulöser und definierter werden. Das Thema habe gerade bei Jungen sehr stark zugenommen, spiele aber auch bei Mädchen eine große Rolle.
Das Schönheitsideal eines muskulösen, definierten Körpers verleitet mitunter dazu, die Ernährungsweisen bestimmter Influencer zu übernehmen. Allerdings bedeute für jeden Menschen gute Ernährung individuell etwas anderes, erklärt Bonse. Jedem tue unterschiedliches Essen gut, da jeder Mensch die verschiedenen Nährstoffe beispielsweise unterschiedlich gut verdauen könne.
“Bei propagierten Ernährungsweisen ist die Gefahr sehr groß, dass diese gegen die Bedürfnisse des eigenen Körpers gehen”, sagt Bonse. Unabhängig davon, ob dies nun OMAD, Intervallfasten oder eine Ernährung ohne Kohlehydrate sei. Wer sich zu etwas zwinge, kehre entweder schnell wieder zum normalen Essverhalten zurück – oder entwickle ein gestörtes Verhältnis zum Essen.
“Auf längere Sicht gesehen entspricht das nicht unserer Humanphysiologie”, sagt Stoffwechselexpertin Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Menschen würden auf natürliche Weise mehrmals am Tag essen. Für die meisten dürfte es schwierig sein, den gesamten Tagesbedarf auf einmal zu verschlingen – so dass nicht genug Energie für den ganzen Tag aufgenommen werden könne.
“Das Risiko besteht außerdem darin, dass man nicht ausgewogen genug isst, also ein Mangel entsteht – zum Beispiel an Mikronährstoffen”, so Klaus. Dazu gehören Kalium, Aminosäuren oder Vitamine.
Entgegen dem Ziel, Muskeln aufzubauen, sieht Klaus sogar die Gefahr eines Muskelabbaus. Die hauptsächlich aus Eiweiß bestehenden Muskeln könnten ohne mehrfache tägliche Nahrungszufuhr aufgezehrt werden. Das gelte für alle – doch insbesondere Ältere bräuchten mehr Protein, um den Abbau aufzuhalten. “Der Körper braucht Eiweiß aus der Nahrung, als eine Art anaboles Signal, um Muskeln aufzubauen”, so Klaus. Für diesen Anschub seien bestimmte essenzielle Aminosäuren, also Bestandteile von Eiweiß, zuständig. Diese können zwar auch als Nahrungsergänzungsmittel, zum Beispiel aufgelöst in Wasser zugeführt werden. Daran denkt aber vermutlich nicht jeder.
Eine Mahlzeit am Tag – das schränkt außerdem das Sozialleben ein. “Essen ist ja in der Regel etwas Soziales”, sagt Klaus. “Wenn ich arbeite, gehe ich mittags vielleicht mit den Kollegen in die Kantine”, ergänzt die Wissenschaftlerin. Essen diene schließlich nicht nur dem Überleben. Mit OMAD falle gemeinsame Zeit mit anderen weg.
In allen Kulturen habe Essen viel mit Sozialverhalten zu tun, mit Interaktion und Kommunikation. Dazu gehört, Essen zu teilen oder zusammen mit den Kindern eine gemeinsame Mahlzeit am Tag als Gelegenheit zum Austausch zu nutzen. “Bei Weltraumnahrung und Vitamintabletten geht der hedonische Aspekt das Essens verloren”, bedauert Klaus. Dazu gehörten der Genuss, das Soziale – und auch die Kulturtechnik, das Essen zuzubereiten.