Ein Essteller mit zartem Blütendekor, das Gemälde einer Mutter mit Kleinkind auf dem Schoß, eine Marionettenpuppe: Mitten in die schrift- und fotolastige Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums München haben die Macherinnen zum zehnten Geburtstag der Einrichtung 22 Alltagsgegenstände aus der NS-Zeit gesprenkelt. Unter dem Titel „Erinnerung ist…“ katapultieren sie die Betrachter hinein in die Lebensgeschichten von 22 Einzelschicksalen: Alice Bendix, die 1943 ermordete Leiterin des jüdischen Kinderheims Milbertshofen, aß von diesem Teller. 16 Jahre alt war Schorschi, das Kleinkind vom Gemälde, als er im Februar 1945 wegen eines Jungenstreichs ins KZ Dachau gesperrt wurde und zwei Monate später starb. Maria Luiko hatte noch 1934 das Marionettentheater Jüdischer Künstler in München mitbegründet – ein trotziges Zeichen des Lebens inmitten von Schikane und Verfolgung. 1941 wurde sie ins KZ Kaunas deportiert und erschossen.
Vor Eröffnung des NS-Dokuzentrums im Mai 2015 hatten die Verantwortlichen bewusst auf Ausstellungsexponate verzichtet – zu groß war die Sorge vor einer „Musealisierung des Grauens“, wie es Gründungsdirektor Winfried Nerdinger damals nannte. „Ich würde hier auch keine SS-Uniformen ausstellen“, betont seine Nachfolgerin Mirjam Zadoff beim Pressetermin vor der Wiedereröffnung des Zentrums am Donnerstag (8. Mai), das fünf Monate lang wegen Umbaumaßnahmen geschlossen war. Die nun ausgewählten Exponate jedoch könnten – anders als Schwarzweißfotos – gerade für junge Menschen einen tieferen Bezug herstellen: „Sie erzählen Geschichten und bringen uns auf emotionalere, persönlichere Weise in Berührung mit der Vergangenheit“, sagt die Historikerin.
Überhaupt, das Gespräch: Damit künftig noch mehr Austausch und Begegnung möglich ist, wurde das NS-Dokuzentrum seit Dezember moderat umgebaut. Auf dem Vorplatz, im Foyer und in einigen Stockwerken warten jetzt Sitzecken auf Menschen, die das Gesehene miteinander teilen wollen. „Unsere Ausstellungen sind dazu da, dass man über sie spricht“, sagt Zadoff. Mehr Seminarräume und das entschlackte Foyer sollen dazu beitragen, ebenso wie das Herzensanliegen des Teams: ein Café im Erdgeschoss, das auch ohne Ticket für Passanten zugänglich ist.
Im Zuge des Umbaus wurden zum einen auch die Barrierefreiheit, zum anderen die Sicherheit des Hauses erhöht – mithilfe von Videoüberwachung und Pollern rund ums Gebäude. Geplant war das sei 2018, wie nötig es ist, wurde im September 2024 deutlich, als ein 18-Jähriger mit islamistischen Motiven zwei Schüsse auf die Glasfassade feuerte.
Am 8. Mai, dem 80. Jahrestag des Kriegsendes, öffnet Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nun das NS-Dokuzentrum wieder für Besucherinnen und Besucher – rund eine Million waren es in den vergangenen zehn Jahren, dazu über 30 Wechselausstellungen sowie zahlreiche Workshops, Kooperationen, Lesungen und Kunstprojekte. Die Bedeutung des Zentrums sei angesichts der politischen Entwicklungen der letzten Dekade „nicht geringer geworden“, so Zadoff. Als Geburtstagsgeschenk an sich und seine Gäste lade das Haus im Mai zu mehreren Sonder-Veranstaltungen ein.