Der frühere Leiter des katholischen Heinrich-Theissing-Instituts für Kirchen- und Zeitgeschichte in Schwerin, Georg Diederich, hat mit Blick auf das Jahr 1945 und die damaligen Flüchtlings- und Vertriebenenströme zu Mitmenschlichkeit ermuntert. „Entscheidend ist, wie hilfsbereit ich anderen gegenüber bin, wie ich mich von der Not der anderen zum Handeln motivieren lasse – und ob ich bereit bin, meinen Lebens- und Denkhorizont durch andere erweitern zu lassen“, sagte der 75-Jährige dem Evangelischen Pressedienst (epd). Diederich wird demnächst in Kühlungsborn, Ludwigslust, Waren (Müritz) und Neustrelitz einen Vortrag halten zum Jahr 1945, zu Zusammenbruch und Neubeginn, und zum Entstehen einer Kirche der Vertriebenen in Mecklenburg.
Wichtig sei zudem, dass eine Überforderung auch als solche erkannt wird, sagte er. „Und es müssen rechtzeitig Mittel und Wege gefunden werden, um Hilfe zu leisten. Ohne die vielen Spenden aus der Schweiz, aus den USA und anderen Ländern, die damals auch über die kirchlichen Hilfswerke verteilt wurden, hätten viele dieser Flüchtlinge nicht überleben können.“
Laut Diederich war eine Folge des Zweiten Weltkriegs, dass die Zahl der Katholiken in Mecklenburg stark anstieg. Schon vor 1945 seien viele katholische Christen hierher gekommen, aus zerbombten Städten im Rheinland zum Beispiel. „1938 gab es in Mecklenburg 32.000 Katholiken, 1946 dann etwa 210.000. Damals entstanden viele neue Gemeinden. Da katholische Gottesdiensträume knapp waren, konnten in Absprache mit der evangelischen Kirche schon in den letzten Monaten vor Kriegsende katholische Gottesdienste in evangelischen Kirchen stattfinden, so zum Beispiel in Tempzin bei Brüel“, sagte er.
Die Einheimischen hätten sich gegenüber den vielen Flüchtlingen sehr unterschiedlich verhalten. „Meist war die Situation für die Vertriebenen nicht besonders aufnahmefreundlich, egal, ob evangelisch oder katholisch. Die einheimische Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern war damals mit 1,1 Millionen Menschen plötzlich in der Minderheit gegenüber 1,4 Millionen Zugewanderten“, sagte er. Das habe natürlich zu großen Spannungen geführt. „Der Zustrom der vielen, vielen Leute, die da ohne Mittel und völlig traumatisiert ins Land kamen, brachte 1945 einfach eine große Überforderung mit sich.“