Von einem „Riesenpreisschock“ will Ellen Schultz nicht sprechen. „Natürlich ist es gerade bei Heizung und Warmwasser zu Steigerungen gekommen, aber nur teilweise zu Verdoppelungen“, sagt die Vorsitzende des Mieterbundes Sachsen-Anhalt in Halle (Saale). Auch bei den kalten Betriebskosten habe es deutliche Erhöhungen gegeben, beispielsweise bei Hausmeister- und Reinigungsdiensten, Wartungskosten oder Versicherungen. „Insgesamt gab es also eine Steigerung der ‘zweiten Miete’“, sagt Schultz.
Preisschocks, Frieren in den eigenen vier Wänden, steigende Verschuldung: Im vergangenen Winter war die Sorge vor horrend steigenden Energiekosten groß. Als die Entgelte für Gas, Öl oder Strom nur noch den Weg nach oben kannten, reagierte etwa die evangelische Diakonie deutschlandweit sogar mit der Aktion „Wärmewinter“: Unter anderem richtete sie Wärmestuben ein, wo sich Menschen, die ihre Heizrechnung nicht mehr zahlen konnten, in geheizten Räumen aufhalten konnten.
Doch in diesen Wochen, in denen auch bei den meisten Mietern in Sachsen-Anhalt die Nebenkostenabrechnungen aus dem vergangenen Jahr eintreffen, zeigt sich: Der befürchtete Kostenschock ist offenbar ausgeblieben. Zwar sind die Energiekosten deutlich höher als vor dem Ukraine-Krieg, aber die befürchteten sozialen Verwerfungen können Sozialberatungsstellen im Land nicht feststellen, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) ergab.
Trotzdem bleibe Energiesparen weiterhin ein Thema. „Wir gehen nicht davon aus, dass mit sinkenden Energiekosten zu rechnen ist“, sagt Stefan Zowislo, Sprecher der Caritas im katholischen Bistum Magdeburg. Auch Ellen Schultz rechnet nicht mit fallenden Energiekosten: „Mieter und Verbraucher sind aufgefordert, weiterhin sparsam und bewusster zu wohnen.“
Viele Mieter haben diese Empfehlung offenbar bereits beherzigt. Energieberaterin Heike Bose von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt beobachtet geringere Energieverbräuche im Vergleich zum Vorjahr. „Viele Verbraucher haben durch eine Reihe von Maßnahmen Energie eingespart“, sagt Bose. Hinzu komme, ergänzt Mieterbund-Vorsitzende Schultz, dass viele Verbraucher freiwillig ihre Nebenkostenvorauszahlungen erhöht hätten.
Dass es nicht so schlimm gekommen ist wie befürchtet, liegt nach Ansicht der Schuldnerberater insbesondere an den Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung. Im Dezember 2022 gab es eine Soforthilfe, bei der der Bund einmalig den monatlichen Abschlag für Gas und Wärme übernommen hat. Im März dieses Jahres folgten Gas- und Strompreisbremse, die zunächst bis Ende Dezember befristet sind. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant eine Verlängerung bis zum Frühjahr.
So sind auch bei der Verbraucherzentrale bisher keine größeren sozialen Verwerfungen aufgefallen. „In den überwiegenden Fällen der bisher geprüften Abrechnungen ist ein Preisschock ausgeblieben“, sagt Energieberaterin Heike Bose. Jedoch habe es eine spürbare Erhöhung bei Wärme und Warmwasser bis hin zu einer Verdopplung gegenüber dem Vorjahr gegeben. „Fakt ist auch, dass hohe Nachzahlungen besonders Menschen mit geringem Einkommen vor erhebliche Schwierigkeiten stellen“, so Bose.
Die Beratungsstellen der kirchlichen Sozialverbände Caritas und Diakonie bestätigen diesen Trend. Andreas Mösenthin von der Schuldnerberatung der Diakonie in Burg bei Magdeburg erklärte auf Anfrage, dass bei seinen Klienten ein signifikanter Anstieg der Schulden bei Energieversorgern nicht zu erkennen sei. Laut Caritas-Sprecher Zowislo ist es zwar für eine abschließende Auswertung momentan zu früh, da viele Mieter ihre Nebenkostenabrechnung noch nicht erhalten hätten. Aber: „Bei vorliegenden Abrechnungen unserer Ratsuchenden konnten wir keine dramatischen Abweichungen zum Vorjahr feststellen.“