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Eine Reise durch das Welterbe Oberes Mittelrheintal

Es ist ein grandioses Stück Natur: das Mittelrheintal zwischen Koblenz und Bingen. Weltkulturerbe ist es, weil die dort lebenden Menschen eine einmalige Kulturlandschaft daraus geformt haben. Ein Kenner beschreibt sie.

67 Kilometer Flusstal, 20 mittelalterlich anmutende Burgen, schroffe Felswände und Weinterrassen: Das obere Mittelrheintal, seit 2002 Weltkulturerbe, zählt zu den bedeutendsten Kulturlandschaften Europas. Sagen, Rheinromantik und Weinseligkeit: Das ist die Schokoladenseite. Auf der anderen Seite stehen Leerstand, Wirtschafts- und Umweltprobleme sowie Verkehrsinfarkt und die Verlärmung des Tals.

In der Buchreihe “European Essays on Nature and Landscape” hat der Kölner Germanist und Schriftsteller Karl-Heinz Göttert (81) jetzt eine Bilanz des Weltkulturerbes am Mittelrhein gezogen und Geologie, Natur und Kultur des berühmten Tals zwischen Bingen und Koblenz beschrieben. Ein Aufschlag auch für die geplante Bundesgartenschau 2029 im Oberen Mittelrheintal.

Göttert kann aus dem Vollen schöpfen: Der Kölner Germanist ist in Ehrenbreitstein bei Koblenz geboren. In seinem 2021 erschienenen Buch “Der Rhein. Eine literarische Reise” folgte er dem Fluss durch acht Jahrhunderte Literaturgeschichte.

In seinem neuen Werk beschreibt der emeritierte Professor das Wechselspiel zwischen den geologischen Voraussetzungen und ihrer Nutzung durch die Menschen. “Das jetzige Mittelrheintal mit seiner engen Schlucht ist gerade einmal 400.000 Jahre alt”, zeigt Göttert die erdgeschichtliche Dimension. Das Tal hatte sich zunächst als ziemlich menschenfeindlich erwiesen: Fluss und Felsen ließen nur wenig Raum für Siedlungen und Landwirtschaft. “Die Menschen nahmen die durch die Geologie gegebenen Rahmenbedingungen an und veränderten sie durch Rodung der Hänge, was Platz schuf für eine Sonderkultur der Landwirtschaft, nämlich den Weinbau”, schreibt Göttert.

Eine bedeutende Kulturlandschaft entstand: Ein großes Verdienst daran hatten die Mönche, die seit dem frühen Mittelalter durch den Bau von Terrassen der Landschaft mühsam Raum für Weinstöcke abrangen, weil sie Wein für den Gottesdienst benötigten – ein paar Jahrhunderte später als an der Mosel, die den Weinbau schon seit römischen Zeiten kannte. Es folgten Adlige, Bauern und Bürger, die Burgen bauten, Reben pflanzten und Siedlungen gründeten.

Das Klima allerdings ist einmalig – und sonst nur im mediterranen Süden gegeben, wie Göttert schreibt. “Der Rhein spiegelt nämlich die Sonne und sorgt auf diese Weise für einen Wärmeausgleich – der Temperaturunterschied zwischen Tal und Höhe liegt bei zwei bis drei Grad”, weiß der Autor. Auch mehr als ein Drittel aller in Deutschland heimischen Pflanzenarten sind hier (auf 0,2 Prozent der Gesamtfläche) vertreten, einige an ihrer nördlichen Vorkommensgrenze.

Der Rhein als großer Transportweg trug viel zum zwischenzeitlichen Reichtum der Region bei: Adel und Kirchenfürsten erhoben im Mittelalter am Oberen Mittelrhein mindestens 16 Mal Zoll. Weil dies den Handel bedrohte, schlossen sich die Großen im 14. Jahrhundert zusammen, bildeten mit sieben Zollstätten die “rheinische Pfaffengasse”. Am Ende des Mittelalters war der Mittelrhein ein eigener Wirtschaftsraum mit sorgfältig ausbalancierten Kräften.

Pest und Kriege sorgten in den folgenden Jahrhunderten für Rückschläge und Niedergang. Als sich auch noch die Pilzkrankheiten des Echten und Falschen Mehltaus um 1900 verbreiteten, lag der Weinbau am Boden. Immer mehr Flächen wurden aufgegeben. Seit den 70er Jahren haben Flurbereinigungen die früher kleinteilige Struktur der Landschaft verändert.

Im 19. Jahrhundert wurde das Tal mit seinen Burg- und Kirchenruinen als “romantisch” entdeckt. Inzwischen sind der Verkehr durch Eisenbahn und Straßen sowie der Massentourismus zum “ebenso natur- wie kulturverschlingenden Problem” geworden, wie Göttert formuliert. Allein 400 bis 500 Züge fahren täglich durch das enge Tal; auf beiden Flussufern durchschneiden breite Bundesstraßen die Ortskerne oder trennen sie vom Fluss.

Und die Zukunft? Der Rhein-Kenner wendet sich gegen Untergangs-Szenarien: Immer wieder habe der Mensch das enge Rheintal kreativ gestaltet, es aus einer öden Waldschlucht in eine prosperierende und nicht zuletzt malerische Gegend verwandelt. Darauf lässt sich aufbauen. Göttert verweist auf zahlreiche aktuelle Anstrengungen, um das Bewusstsein von Landschaft und Kultur und das entsprechende Zugehörigkeitsgefühl zu erhalten. “Der Status als Welterbe hat enorme Bewegung ins Mittelrheintal gebracht.”