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Eine Gemeinde ohne Kirche

Die Kirchengemeinde ist nicht zu beneiden: Erst brannte die Kirche nieder, nun macht der Neubau Probleme: Der Mörtel sprengt das Bauwerk von innen – das Gotteshaus kann nicht mehr genutzt werden. Jetzt wollen Experten den komplizierten Fall lösen.

Pastor Arend Engelkes zeigt einen der vielen Risse
Pastor Arend Engelkes zeigt einen der vielen RisseNadine Heggen

Hanerau-Hademarschen. Pastor Arend Engelkes sitzt in dem verglasten Anbau der St.-Severin-Kirche und schaut auf die Mauern des Gotteshauses, in dem er noch nie predigen durfte. Um Fenster und Türen herum zeigen sich fingerbreite Risse. Weil die Westseite immer instabiler wurde, ist das Hauptportal seit 2013 zugemauert. Im Inneren der Kirche ist das Surren eines Bautrockners zu hören. Die Kirchengemeinderat hofft, dass die Risse weniger werden, wenn die Steine trocken sind.
Engelkes ist seit zweieinhalb Jahren Pastor in Hanerau-Hademarschen. Bei seinem Amtsantritt wusste er, auf was er sich einlässt. „Dass der Verlust ihrer Kirche für die Gemeinde aber ein so langanhaltendes Trauma ist, habe ich nicht erwartet“, sagt er. Er war lange Zeit Militärseelsorger und ist der Meinung: „Man braucht keine Kirche, um Kirche zu sein.“ Aber er weiß, wie sehr die 3500 Mitglieder starke Gemeinde an der Kirche hängt. Dass sie für viele ein Stück Heimat ist. Einmal kam eine ältere Frau zu ihm, die in St. Severin getauft, konfirmiert und getraut wurde. Sie fragte ihn, wie lange sie noch leben müsse, um auch dort beerdigt werden zu können. Der Pastor konnte es ihr nicht sagen.

Sieg vor Gericht

Denn der Fall St. Severin ist kompliziert. Beim Wiederaufbau der Kirche wurden die Grundmauern mit Mörtel verpresst, um sie stabiler zu machen. Gutachter hatten ausdrücklich gefordert, Mörtel einzusetzen, der nicht zu viel Zement enthält. Doch das Gegenteil passierte: Rund 35 Tonnen zementhaltiger Mörtel wurden verbaut. Der dehnt sich nun aus wie Hefeteig und sprengt das Mauerwerk von innen. 
Den Rechtsstreit gegen die Verantwortlichen hat die Gemeinde in letzter Instanz gewonnen. Die beteiligten Firmen müssen die Kosten für die Baufehler übernehmen. Aber wie die Reparatur aussehen muss, weiß niemand so recht. „Wir operieren am offenen Herzen. Der Fall ist nahezu einmalig“, sagt Engelkes. Mit Experten versucht der Kirchengemeinderat, ein Konzept zur Rettung der Kirche zu erarbeiten.
Bis dahin muss die Gemeinde in die kleine St.-Johannes-Kirche im vier Kilometer entfernten Nachbardorf Gokels ausweichen. Maximal 100 Menschen haben hier Platz. Eine Konfirmation mit 12 Jugendlichen und ihren Familien wird zur Herausforderung. „Der Chor muss nach seinem Auftritt wieder gehen. Für ihn haben wir keinen Platz“, sagt Engelkes. 

Stahlkorsett für Kirche

St. Severin fasst dagegen bis zu 350 Menschen. Mehr als das Surren des Bautrockners erklingt dort aber seit fünf Jahren nicht mehr. Kirchenbänke und Altar sind mit Folien abgedeckt. Auf dem Rednerpult liegt ein Liederblatt vom letzten Gottesdienst am 3. September 2013. 
Auch Elke Carstens (74) sang damals mit. Schweren Herzens. Seit 20 Jahren ist sie Mitglied im Kirchengemeinderat und hat das Schicksal von St. Severin hautnah miterlebt. „Die erneute Schließung nach dem Wiederaufbau und die Unsicherheit, wie es mit der Kirche weitergeht, waren das Schlimmste für die Gemeinde“, so Carstens. Es gab viele Gerüchte, Vorwürfe an den Kirchengemeinderat und auch Kirchenaustritte. 
Erstmal ist für die Kirche nun eine Notsicherung geplant: Ein Stahlkorsett soll die Westwand stabilisieren und vor der Witterung schützen, damit Gips und Mörtel nicht durch immer mehr Wasser zu erneuten Reaktionen gebracht werden. Wenn das gelingt, könnte das Hauptportal wieder öffnen. Für die Gemeinde wäre das ein erster Schritt in Richtung Heimat.