Die Zentrale der Deutschen Seemannsmission ist in der Speicherstadt. In der Deichstraße um die Ecke stehen einige der ältesten Gebäude Hamburgs. Von einer Brücke aus sieht man Häuserfassaden, die sich im Fleet, einem der vielen Kanäle in der Stadt spiegeln, im Hintergrund ragt die Spitze der Elbphilharmonie hervor.
Die Geschäftsstelle der Deutschen Seemannsmission e.V. (DSM), unter deren Dach 33 Stationen im In- und Ausland organisiert sind, ist unscheinbar. In den Fenstern kleben Schriftzüge. Matthias Ristau, seit 2022 Generalsekretär der DSM, träumt von noch mehr Präsenz – vielleicht einem großen Schriftzug an der Fassade des Hauses. Die Sichtbarkeit der Seeleute, das ist eines der großen Anliegen des früheren Seemannspastors der Nordkirche. „Die meisten wissen gar nicht viel über Schifffahrt. Kaum einer verbindet die Schiffe mit den Dingen, die wir täglich benutzen. Seeleute gehen alle an!“, sagt Matthias Ristau nachdrücklich. Das gelte nicht nur für die Küstenstädte wie Hamburg, wo es auf Spurensuche der Seemannsmission in der Stadt geht.
Im Seemannsheim übernachten Seeleute, Touristen und Dauerbewohner
Von der Geschäftsstelle geht es zu Fuß Richtung Michel. Direkt nebenan ist das Seemannsheim Hamburg am Krayenkamp. Bunte Fahnen begrüßen die Besucher, in der Fensterscheibe spiegelt sich der Kirchturm. Hier übernachten neben Seeleuten, die einen Crewwechsel haben, Touristen, außerdem gibt es 30 bis 40 Dauerbewohner, Seeleute im Ruhestand, die lange zur See gefahren sind und den Ort mit Heimat verbinden.
„Ein Teil der Seeleute waren schon immer Eigenbrötler, aber viele Seeleute haben Familie“, erklärt Matthias Ristau. „Und es gibt auch keinen Beweis dafür, dass die Ehen nicht so lange halten wie andere“, betont der Generalsekretär. Dass es aber schwierig sei für Seeleute wie Angehörige, davon berichtet er auf dem Weg zur nächsten Station.
„Die Welt auf dem Schiff und die zu Hause lassen sich nicht immer gut zusammenbringen. Deutsche Seeleute sind etwa vier Monate weg, dann zwei Monate zu Hause, bevor sie wieder wegfahren. Familienurlaube, Hochzeiten von Freunden, Taufen – viele solcher Ereignisse verpassen die Seeleute. Dafür hat nicht jeder Verständnis und man verliert sich aus den Augen“, so Ristau. Philippinische Seeleute seien sogar neun Monate am Stück auf See, da sei es noch gravierender.
Deutsche Seemannsmission steht allen offen
Mit dem Michel im Rücken geht es in die Ditmar-Koel-Straße. Turm an Turm stehen hier die Dänische Seemannskirche, die Norwegische und die Finnische. „Die Seemannskirchen kümmern sich speziell um ihre Seeleute, die Deutsche Seemannsmission hingegen hat vor Jahrzehnten entschieden, aus Deutschland für alle zu wirken“, erklärt Matthias Ristau. Die Finnische Seemannskirche hat ihre Tore fast täglich geöffnet. Es gibt ein Café, finnische Produkte, eine Kapelle und ein Schild weist auf die Sauna im Keller hin. „Die Finnische Seemannsmission ist auch Gemeindekirche für alle Finnen in der Stadt“, so Ristau. Und die Sauna gehöre so zur finnischen Kultur, dass auch an Bord jedes finnischen Schiffes eine zu finden sei.
Nur wenige Meter weiter herrscht reges Treiben. Im Portugiesenviertel treffen Hamburger in der Mittagspause auf Touristen. Am Ende der Straße ist ein Schiffsmast der Cap San Diego zu sehen, rechts ein rotes Backsteingebäude, die frühere Schwedische Seemannskirche heißt heute nur noch Gustav-Adolfs-Kirche.
Von den Landungsbrücken aus sind die großen Kräne der Terminals im Hamburger Hafen zu sehen. Von Schleppern begleitet verlässt ein Containerschiff gerade den Hafen. „Das da drüben ist der Hafen, nicht hier an den Landungsbrücken“, betont Ristau. „Für die Seeleute ist dieses Ufer weit weg, die meisten kommen hier nicht rüber. Der Seemannsclub Duckdalben auf der anderen Seite ist daher die erste Anlaufstelle für die Seeleute.“
Seemannsmission als das menschliche Gesicht für Seeleute im Hafen
Als Seemannspastor war er noch viel „dort drüben“, als Generalsekretär ist er weltweit unterwegs und macht Stationsbesuche. Er weiß um die Schwierigkeiten, die Seeleute überall auf der Welt haben. „Es ist ein altes Grundrecht der Seeleute Landgang zu haben, aber es ist längst nicht überall gewährleistet. Hinzu kommt, dass viele Containerschiffe nur 24 Stunden im Hafen liegen.“
Internet an Bord, Ruhe- und Arbeitszeiten, Krankenversicherung auch im Urlaub, Arbeitsverträge und immer wieder die Wertschätzung – während die Fähre Richtung Fischmarkt schippert, zählt Ristau die wichtigsten Punkte für die Arbeit mit den Seeleuten auf. „Kirche und Diakonie werden hier tätig, weil es sonst keiner macht!“, so Ristau. Die Aufgabe gehöre zum christlichen Selbstverständnis. „In der Nachfolge Jesu, der sich für die einsetzt, die andere übersehen, setzen wir uns für Seeleute ein“, sagt Ristau.
Zum Beispiel auch in der Deutschen Seemannsmission Hamburg-Altona, wo man die Bedürfnisse der Seeleute, ihre praktischen Probleme kennt. Heimleiter Fiete Sturm kümmert sich um die Seelsorge der Seeleute. „Es ist hier freundlich familiär, aber hochprofessionell. Wir sind das menschliche Gesicht im Hafen“, betont der Diakon. In der Seefahrt würden Seeleute „entmenschlicht“, nicht mal mit Namen werde man an Bord angesprochen, dem setzt man hier in Altona eine große Portion Menschlichkeit und Mitgefühl entgegen.
Wie viele Seeleute in die Häfen kommen? Schwer zu sagen, sagt Matthias Ristau. „Es gibt jede Menge Statistiken über Schiffe, über die Fracht, den Umsatz, die Anzahl von Passagieren, aber keine über Seeleute. Sie kommen wie bei vielem anderen einfach nicht vor.“ Um die Ecke, wieder Richtung Landungsbrücken, gibt es dann noch einen letzten Stopp auf der Tour mit Matthias Ristau. Oberhalb des Fischmarktes steht die Madonna der Seefahrt, eine große Skulptur, die an Seeleute erinnern soll, die auf See geblieben sind. Da ist es wieder, das Sichtbarmachen der Unsichtbaren, das Matthias Ristau so wichtig ist.