„Wir heißen ihn einen stummen Ochsen, aber er wird mit seiner Lehre noch ein solches Brüllen von sich geben, dass es in der ganzen Welt ertönt“, soll der Kölner Gelehrte Albertus Magnus im 13. Jahrhundert über seinen introvertierten Assistenten gesagt gaben. Tatsächlich avancierte Thomas von Aquin (1225-1274) seit Beginn des 16. Jahrhunderts zum maßgeblichen römisch-katholischen Kirchenlehrer. Auch jenseits der Kirchenmauern gilt er als einer der größten Philosophen und Gott-Denker des Abendlandes. Am 7. März jährt sich sein Todestag zum 750. Mal.
Gerahmt wird das Jubiläum vom 700. Jahrestag der Heiligsprechung (1323) und dem 800. Geburtstag des Thomas (1225). Papst Franziskus würdigte ihn bereits 2022 als „ein Licht für das Denken der Kirche“. Zu den Feierlichkeiten am 7. März indes lässt sich der Papst von seiner Nummer zwei, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, vertreten. Wie der Vatikan im Januar mitteilte, wird Parolin eine Messe an Thomas’ Sterbeort mitfeiern, im Kloster Fossanova, etwa anderthalb Autostunden südlich von Rom.
Auf der rund 40 Kilometer östlich gelegenen Burg Roccasecca wurde Thomas vermutlich um den Neujahrstag 1225 geboren. Der Vater, Graf Landulf von Aquin, sah für seinen jüngsten Sohn wie damals üblich eine Klerikerlaufbahn vor und brachte den Fünfjährigen in der Benediktinerabtei Montecassino unter.
Mit 15 ging Thomas zum Studium nach Neapel, das damals von geistigen Aufbrüchen geprägt war. Gründer der Universität war der schillernde, vom Papst als „Antichrist“ verdammte Stauferkaiser Friedrich II. An der Hochschule, die als antikirchliche Beamtenschmiede gedacht war, wurde der im Abendland gerade erst wiederentdeckte, als gottlos geltende Philosoph Aristoteles gelehrt. Die „Aristoteliker“, wie sie von „Rechtgläubigen“ geschimpft wurden, standen im Ruch, nihilistische Freigeister zu sein.
Indem der Student dem noch jungen Bettelorden der Dominikaner beitrat, begab er sich abermals in verdächtige Kreise. Die Dominikaner fanden unter adligen Jugendlichen großen Zulauf und galten als Freunde des Papstes. Dem Vater, einem Vasallen des Kaisers, musste die Armutsbewegung als anrüchig erschienen sein. Wohl deshalb setzte die Familie Thomas auf einer Burg fest.
Mithilfe seiner Schwester entkam er aus dem Gefängnis und gelangte nach Paris, der damaligen Metropole der theologischen Wissenschaften. Fortan sollte Thomas, befördert durch seinen Orden und die Freundschaft mit Albertus Magnus, entscheidenden Anteil an der geistigen Neuausrichtung seiner Zeit haben. Kennzeichnend für die auch Hochscholastik genannte Blütezeit war ein an Aristoteles ausgerichtetes Wissenschaftsverständnis, das eine Hinwendung zum Diesseits ermöglichte, auf empirisch-logische Begründung zielte und erstmals wirkliche Forschung freisetzte.
Wie kein anderer mittelalterlicher Denker integrierte Thomas die Natur in ein System umfassender Weltdeutung, so in seinem Hauptwerk, der „Summa Theologiae“. Darin würdigt er die Eigenständigkeit der Welt und denkt alles Seiende, vom Stein bis zum Engel, als auf Gott hingeordnet. Zudem nimmt er eine grundlegende Harmonie von Vernunft und Glaube an, ausgehend von der aristotelischen Definition des Menschen als animal rationale („vernünftiges Tier“).
Die Geschlossenheit dieses Systems bringt Thomas-Leser bis heute ins Schwärmen. So vergleicht der christliche Philosoph Josef Pieper (1904-1997) den sprachlichen und gedanklichen Rhythmus vieler Kapitel in Thomas’ Werk „mit den zielklaren letzten Schritten einer Orgelfuge von Johann Sebastian Bach“. Auch wegen der Schönheit seines Gedankengebäudes wird Thomas seit dem 15. Jahrhundert der „engelgleiche Lehrer“ (Doctor Angelicus) genannt.
Doch in der Harmonie liegt auch eine Schwäche: Selbst katholische Thomas-Experten wie Otto Hermann Pesch (1931-2014) kritisieren, dass der angefochtene Glaube in Thomas’ Theologie keinen Platz habe. Wo Martin Luther die Gefahr der Verzweiflung spüre, sehe Thomas nur die Gefahr des Irrtums, urteilt Pesch.
Luther indes, der den Glauben der Vernunft deutlich überordnete, sah in Thomas „Born und Grundsuppe aller Ketzerei, Irrtum und Vertilgung des Evangeliums“. Dieses Urteil hat das Verhältnis evangelischer Theologie zum Aquinaten lange bestimmt. Erst die Aufklärung und Immanuel Kant ermöglichten eine Wiederannäherung. Seitdem ist der Gedanke einer autonomen Vernunft evangelischen Theologen wieder vertrauter.
Auch deshalb müssen sich Studierende der evangelischen Theologie bis heute mit den sogenannten „Gottesbeweisen“ auseinandersetzen. Mit seinen „fünf Wegen“ (quinque viae) will Thomas zeigen, wie von der Natur der Dinge – ihrer Bewegung, ihrem Verursachtsein, ihrer Nicht-Notwendigkeit, ihrer relativen Gutheit und ihrer Zielausrichtung – auf Gott als Ursprung der Welt geschlossen werden kann.
Derweil erachtet der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, die Gegenwart eher nicht als „besonders Thomas-affine Epoche“, wie er dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Doch sei längst nicht ausgemacht, dass Thomas „bloße historische Gestalt“ bleiben werde. „Auch an seinem 750. Todestag können wir seine Wirkungsgeschichte nicht abschließend beurteilen“, sagte Bätzing. Man müsse sich Thomas von Aquins Erkenntnis beugen: „Es scheint zur Natur der menschlichen Vernunft zu gehören, dass sie schrittweise vom Unvollständigen zum Vollständigen vorankommt.“