Als Vorsitzender des Landesseniorenrats Baden-Württemberg engagiert sich Eckart Hammer für eine digitale Teilhabe der Älteren. Der frühere Professor an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg wünscht sich, „dass 80-Jährige noch Mut fassen für dieses fremde und bedrohliche Gerät“. Denn: „Je älter, desto wichtiger wird der Computer als Fenster zur Welt“, sagte er dem Evangelischen Pressdienst (epd). „Enkel schreiben keine Briefe mehr. Wenn man offline ist, ist man abgehängt.“
Zugleich fordert er aber, „dass ein Leben ohne Computer und Smartphone möglich bleiben muss“. Probleme gebe es an vielen Stellen, etwa mit Banken, die ihr Netz ausdünnen: „Die Einrichtung des Online-Bankings mit Verifizierung ist kompliziert.“ Bei manchen Artpraxen gebe es Termine nur noch per E-Mail oder über Online-Portale. Eine Packstation geht nur per Smartphone auf. Fahrkartenschalter und Reisebüros verschwinden. Weiterführende Informationen gebe es teils nur noch über einen QR-Code.
Mit dem Landesseniorenrat wehrt sich Hammer auch gegen finanzielle Nachteile: „Den vergünstigten Zehnerblock im Stuttgarter Tarifverbund (VVS) gibt es nur digital. Das nenne ich eine Strafgebühr.“ Manchmal sei die mangelnde Zugänglichkeit lebensgefährlich: „Pharmaunternehmen diskutieren, Beipackzettel einzusparen und die Informationen nur noch digital zu bieten.“
Hammer ist nicht gegen digitale Angebote. „Ich genieße die Bahn-App.“ Aber rund der Hälfte der Menschen über 75 seien Offliner, und digitale Diskriminierung betreffe auch andere. „Menschen mit Behinderungen oder Ausländer sind schnell ausgeschlossen. Das Problem wächst nicht weg, das wird immer da sein.“
Menschen in Armut seien ebenso betroffen: „PC und Smartphone sind im Bürgergeld nicht drin.“ Eine gute Digitalisierung vermeide keine menschlichen Kontakte, sondern ermögliche sie. Als vorbildliches Beispiel nennt er die Plattform nebenan.de. „Das ist wie ein Schwarzes Brett. Es führt dazu, dass Nachbarn sich kennenlernen.“
Brauche ein Mensch in digitalen Angelegenheiten Hilfe und frage deshalb nach, könne das beschämend sein, sagt Hammer. Wenn andere entsetzt entgegnen: „Wie kann man nur so etwas fragen?“ Ein anderer sei beschämt, weil er nicht digital vorbuchen könne, fühle sich ausgeschlossen: „Dann gehe ich eben nicht ins Kino.“
Der Landessseniorenrat geht deshalb auf Banken, die Bahn und andere zu. Denn es lohne, sich zu wehren. „Ein spanischer Rentner hatte mit einer Petition gegen die Schließung von Banken erheblichen Erfolg.“ Eine Erkenntnis sei dabei wichtig: „Wir sind zugleich Täter und Opfer. Wäre ich fleißig zu meiner Bankfiliale gegangen, gäbe es sie vielleicht noch. Ich gehe in Geschäften nicht zur Selbstzahlerkasse mit Karte, obwohl ich es könnte. Ich will, dass auch in Zukunft ein Mensch an der Kasse sitzt.“
Digital werde zudem alles erfasst: „Payback-Karten sind Datensammelsysteme.“ Es müsse beides geben, das digitale und analoge Angebot, fordert Hammer. „Wer beides kann, online und Papier, kann aus Solidarität die Papierform wählen, damit das bleibt.“
Manchmal ärgert sich Hammer, wenn eine App schon wieder ganz anders aussieht. „Das wird gemacht, um uns Ältere geistig fit zu halten“, spottet er. Es gebe immer gute Gründe für Änderungen, beim bargeldlosen Automat sei Sprengen sinnlos und Falschgeld kein Problem. „Aber vielen Entwicklern ist die Welt der Offliner völlig fremd. Die brauchen einen 80-Jährigen als Berater.“
Vom leichten Zugang profitierten alle. „Altersfreundliche Technik ist menschenfreundliche Technik.“ Es könne einen Einfach- und Expertenmodus geben. „Unser Fernseher kam mit zwei Fernbedienungen, klein und groß.“ Dass Kunden digital scheitern und aufgeben, sei teils „der Zweck der Übung“: So hielten sich Firmen lästige Anfragen vom Hals. Einen Chatbot zu fragen, erfordere oft Fachbegriffe. Oft komme die Antwort: „Ich kann ihre Frage nicht verstehen.“
Für Nachhaltigkeit gibt es Zertifikate, aber was ist mit der Menschenfreundlichkeit? Hammer verweist auf das Zertifikat für „seniorenfreundliches Handwerk“, für das die Kreisseniorenräte Schulungen anbieten. Manches scheitere an Gedankenlosigkeit. Oft brauche es nur Kleinigkeiten, etwa beim Einkauf: „Eine Lupe am Einkaufswagen, ein Stuhl im Laden, eine freundliche Toilette.“
Bei der Barrierefreiheit, analog wie digital, sei auch der Gesetzgeber gefragt. „Und der Enthinderungsbeauftragte, so heißt mein Kollege an der Evangelischen Hochschule. Wenn Menschen nicht behindert sind, sondern vermeidbar behindert werden“, erläutert Hammer. (0346/16.02.2024)