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Ein Fest in ökumenischer Weite

Wie ein kleiner Kirchentag: Beim internationalen Fest der westfälischen Landeskirche drehte sich alles um die Themen Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung

„So etwas wie das Unglück in Bangladesh kann bei uns nicht passieren!“, versicherte Gerhard Weber. Der Unternehmer stellte sich bei einem Podiumsgespräch über faire Textilproduktion. Die Mischung von zahlreichen Diskussionsrunden zu brennenden Themen mit viel Musik, persönlichen Begegnungen mit Menschen aus aller Welt und der Beteiligung vieler Basisgruppen und Institutionen machte den Reiz des Weite wirkt-Festivals in Halle aus.

Gerade hatte das Publikum des Hauptforums „Chic, billig – aber fair?“ erschütternde Bilder vom Einsturz der Textilfabrik „Rana Plaza“ im April 2013 gesehen. Weber garantierte die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften bei seinen Zulieferern. Sabine Ferenschild vom Südwind-Institut mahnte neben der Gebäudesicherheit vor allem strukturelle Verbesserungen an. Dazu gehören die Zulassung von Gewerkschaften, Arbeitsverträge und existenzsichernde Löhne. 

Kirche muss an der Seite der Menschen stehen

Bernhard Felmberg vom Entwicklungsministerium freute sich, dass Gerry Weber seit Dezember Mitglied im Textilbündnis ist, wo Unternehmen, Politiker und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen an einem Tisch sitzen: „Nur gemeinsam können wir Verbesserungen erwirken.“ Oberkirchenrat Ulrich Möller betonte, dass es nicht die Aufgabe von Kirche sei, sich besserwisserisch in wirtschaftliche Fragen einzumischen, „aber Kirche muss an der Seite der Menschen stehen, die ausgebeutet werden. Wir sind unseren Glaubensgeschwistern in Afrika und Asien rechenschaftspflichtig.“ 

An vielen Stellen wurde an den drei Tagen kontrovers diskutiert, im selben Geist um Lösungen gerungen, gefeiert und getanzt. So wurden die Auswirkungen und das Potenzial der Reformation gefeiert. 

Nicht nur aus ganz Westfalen, auch aus den Partnerkirchen in Afrika, Asien sowie Nord- und Südamerika waren rund 24 000 Menschen nach Halle geströmt. Für viele war das Festival ein ökumenisches Familienfest. Wie ein Kirchentag, nur handlicher, überschaubarer und auf nur ein – allerdings sehr breites – Themenspektrum bezogen: Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung. Man konnte Kirchenprominenz von Nahem erleben und die ungeheure Kreativität an der Basis der Gemeinden, ungewohnte Gerichte schmecken, farbenfrohe exotische Kleidung und viele Hautfarben sehen und immer wieder Musik verschiedener Stilrichtungen hören – ein Fest auch für die Sinne. Manch einer fühlte sich an das Pfingstwunder erinnert: So viele Menschen aus verschiedenen Ländern mit verschiedenen Sprachen, die sich verstehen und gemeinsam Gott loben und ihm verantwortlich leben wollen!

„Die Deutschen sind ja gar nicht so …“

Immer wieder wurden überraschende Erkenntnisse geäußert. So nahmen ungarische Gäste erstmals die Ökumene außerhalb Europas wahr. Katholischen Chileninnen fiel die starke Rolle der Frauen im evangelischen Gottesdienst auf. „Das sind ja alles Sachen aus unserer Heimat!“, staunten ökumenische Gäste über das vielfältige Angebot der Weltläden. „Die Deutschen sind ja gar nicht so!“, meinte ein junger tansanischer Pfarrer und dachte dabei an die strengen Herren der Kolonialgeschichte. 

Auch Kirchenferne zeigten sich beeindruckt von der Vielfalt, der Offenheit und dem Engagement der evangelischen Christen für Klimagerechtigkeit, fairen Handel, die Aufnahme von Geflüchteten, gerechte Arbeitsbedingungen. „Man fuhr nach Halle und hatte eine Weltreise gemacht!“, sagte eine Bielefelder Teilnehmerin.

Das Programm war offenbar ansprechend zusammengestellt. Nicht eine Veranstaltung fiel mangels Teilnahme aus. Im Gegenteil erfreute sich manches Thema unerwartet großen Zuspruchs. So mussten beim Forum zur Zukunft der Ökumene Stühle über die 200 bereitgestellten hinaus herangeschafft werden.

Die Freiheit, Gottes Welt mitzugestalten

Was hat man nicht alles erlebt: den biblischen Impuls der Präses gehört, mit Flüchtlingen aus Syrien gesprochen, den „Engel der Kulturen“ und das Tanzprojekt zu Messias „Händel“ mit tansanischer Musik verpasst, aber im Café-Zelt der Vereinten Evangelischen Mission einen Eiskaffee mit einer Sozialarbeiterin von den Philippinen getrunken, den Poetry Slam verlassen, um das Peacemaker-Konzert mit dem 1000-köpfigen Chor zu hören, keine Pizza für Tansania, aber leckere Chipas aus Argentinien und arabische Süßigkeiten am Spieß probiert, einen Engel-Anhänger aus einem Holzreifen geschlagen und ein Nagelkreuz gebastelt, ein interessantes Podium zur Klimagerechtigkeit sausen lassen, um den Standdienst im Partnerschaftszelt zu versehen, mit unzähligen Menschen diskutiert und ebenso vielen Bekannten in der Menge nur zugewunken, von Freiwilligen über ihr diakonisches Jahr im Ausland gehört, tief berührt die Wasserliturgie im Schlussgottesdienst erlebt und vom Nachbarn im Stadion ein Segenszeichen empfangen – am Ende steht das Gefühl, unglaublich viel Weite erlebt zu haben und die Freiheit und die Einladung verspürt, Gottes Welt mitzugestalten. Das wird weiter wirken.

Eine Nachlese des Weite wirkt-Festivals sowie Hinweise auf weitere Veranstaltungen zum Themenjahr 2016 „Reformation und die Eine Welt“ finden Sie auf www.moewe-westfalen.de.

Kirsten Potz ist Pfarrerin im Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe)