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Ego-Trip oder Selbstschutz? – Wenn Menschen sich selbst heiraten

Sologamie – die Verheiratung mit sich selbst – liegt im Trend. Kritiker sehen darin narzisstische Selbstverliebtheit – andere eine Bestätigung des Doppelgebots der Liebe: “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst”.

Heirat bedeutet längst nicht mehr automatisch Zweisamkeit: Promis wie US-Schauspielerin Selena Gomez oder das brasilianische Model Adriana Lima haben sich selbst das Ja-Wort gegeben, ohne Bräutigam. Auch im Fernsehen wird die Selbstheirat als Möglichkeit der Selbstverwirklichung zelebriert. Schon Carrie Bradshaw (gespielt von Jessica Parker) feierte in der US-Serie “Sex and the City” mit sich selbst Hochzeit, aus Frust über ihr Single-Leben: Ohne Heirat oder Kind gebe es “nach deinem Abschluss keinen einzigen Anlass, bei dem die Leute dich feiern”, so Carrie.

Über Social Media werden sologame Hochzeitsfeiern zum millionenfach geteilten Event. “Sologamie wird sehr gehypt und überschätzt”, sagt Michael Pfaff, niedergelassener Psychiater und Theologe in Zürich. “Bei Promis dient Sologamie ganz klar dem Selbstmarketing.”

Trotzdem treffe das Phänomen einen Nerv der Zeit: “sich abzukapseln” – und sich von gesellschaftlichen Konventionen zu lösen. Selena Gomez etwa erklärte die Zeremonie in einem Interview als Bruch mit ihren eigenen Erwartungen: “Ich dachte immer, dass ich bis zu meinem 30. Geburtstag verheiratet sein würde”, sagte sie. “Also schmiss ich mir eben selbst eine Hochzeit.”

Auch unter Nicht-Promis findet das Phänomen allerdings Nachahmer. So viele, dass sich in den USA bereits ein ganzer Marktsektor darum entwickelt hat. Agenturen wie “I Married Me” verkaufen “Self Wedding”-Pakete, die eine “Road Map to Positivity” versprechen.

Dabei sind Selbstheiraten weltweit nirgends offiziell anerkannt. In deutschen Standesämtern sind sie nicht zugelassen. Auch Religionsgemeinschaften sträuben sich meist gegen eine Segnung. Im christlichen Glauben gilt das Ehegelübde als Versprechen zweier Menschen: “Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm jemanden zur Seite stellen, der zu ihm passt!”, heißt es in der Bibel. Was also bewegt Menschen dazu, sich selbst zu heiraten?

“Bei einer Einschätzung bin ich zurückhaltend”, sagt Pfaff. “Oft liegen sehr unterschiedliche biografische Hintergründe vor.” Bei manchen könnte Sologamie ein Zeichen von Narzissmus sein. “Nach außen geben wir vor, selbstbewusst zu sein, sind innerlich aber verletzlich”, sagt Pfaff. “Das kann mit negativen Beziehungserfahrungen zu tun haben: Beziehungen finde ich anstrengend, Liebeskummer bringt mir nichts.” Wer so denke, gebe andere Menschen womöglich auf.

Kritiker sehen in Sologamie eine Flucht vor weiteren Verletzungen. “Wir alle haben eine Sehnsucht nach Liebe und dem anderen”, sagt der emeritierte Abt und Buchautor (“Liebe will lebendig sein”) Benedikt Müntnich der Abtei Maria Laach. Manche Menschen stellten indes zu hohe Erwartungen an den anderen. “Wenn sie enttäuscht werden, kommen sie zu dem Schluss: Der andere gibt mir nicht das, was ich brauche”, so Müntnich. “Also muss ich mich selber darum kümmern.”

Aus psychologischer Sicht könnte Sologamie aber auch eine bewusste Entscheidung sein. Wer zu sich selbst ja sagt, wird resistenter in schwierigen Lebensphasen. Nach schweren Enttäuschungen könnte Sologamie dann sogar therapeutische Zwecke erfüllen: als “Zeichen, sich selbst in Liebe zu würdigen”, so Pfaff. Was aber unterscheidet gesunde Selbstliebe von egoistischer Selbstverliebtheit?

“Von Egoismus sprechen wir dann, wenn hinter unserem Tun am Anderen die Absicht steht, uns selbst bereichern zu wollen, wir uns also für uns selbst Vorteile erarbeiten wollen”, sagt Pfaff. “Selbstliebe als Ausgangspunkt unserer Begegnungen ist dagegen eine innere Haltung, die unser Gegenüber und unsere eigenen Gefühle als getrennt erlebt. In der Akzeptanz meiner eigenen Gefühlsbreite gehören dann auch traurige Erfahrungen wie Enttäuschung und Ablehnung im Aufeinandertreffen dazu.”

Im christlichen Glauben scheint sich diese These zu bestätigen. “Ich kann nur jemanden anderen lieben, wenn ich mich selbst liebe”, sagt Müntnich. “So heißt es auch in der Bibel: “Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst”. Allerdings entwickle sich Liebe erst in der Begegnung mit anderen. “Die Liebesbeziehung ist so eine Begegnung”, sagt Müntnich, “eine Begegnung im tiefsten Inneren.” Liebe sieht er als Teil eines Lernprozesses: “Am meisten lernen wir aber nicht alleine, sondern mit- und voneinander.”

Ist Sologamie also nicht für die Ewigkeit gemacht? Tatsächlich scheint die Ehe mit sich selbst oft nur von kurzer Dauer: Selena Gomez gab ein Jahr nach ihrer Heirat ihre neue Beziehung mit Benny Blanco bekannt; Adriana Lima zeigt sich inzwischen ebenfalls mit einem neuen Partner.

Allerdings gibt es auch überzeugte Dauersingles, die alleine ein glückliches Leben führen. “Auch ein Leben in Einsamkeit und ohne Liebesbeziehung kann sehr erfüllt sein”, sagt Pfaff. “Wenn ich mich bewusst aus der Welt zurückziehe, um mir in Einsamkeit selbst zu begegnen, dann kann ich mit mir selbst in einer Gemeinschaft stehen.”