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Durchs Leben balancieren

Über den Predigttext für den 8. Sonntag nach Trinitatis: 1. Korinther 6,9-20

Predigttext (in Auszügen)
(…) 12 Alles steht mir frei – aber nicht alles ist sinnvoll. Alles steht mir frei, aber nichts soll Macht über mich haben. 13 Gott gibt Speise für den Bauch, und der Bauch braucht die Speise. Gott nimmt beides zurück. Anders die verantwortungslose Sexualität. Der Körper gehört Gott, und Gott gehört zu dem Körper. (…) 16 Oder wisst ihr nicht, dass auch verantwortungsloser Sex bedeutet, zu einem Körper zu verschmelzen? Denn die zwei – so sagt die Schrift – werden zu einem Körper. (…) 18 Meidet die ungerechten sexuellen Beziehungen. Jede Sünde, die ein Mensch begeht, geschieht außerhalb des Körpers. Wer aber verantwortungslose Sexualität praktiziert, sündigt gegen den eigenen Körper. 19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Körper ein Tempel der heiligen Geistkraft ist, die in euch ist und die ihr von Gott erhalten habt? Ihr gehört euch nicht selbst. 20 Ihr seid von Gott gekauft worden. Darum: Lobt Gott mit eurem Körper. (Bibel in gerechter Sprache)

Lieber Paulus,

ich schreibe dir aus einer Zeit, in der Gläubige in den Sozialen Medien über Selbstbefriedung als Self-Care, also ihre Fürsorge für sich selbst, berichten. Auch du machst Christen (!) in Korinth Mut dazu, gut mit ihren eigenen Körpern umzugehen. Aber du schreibst aus einer Zeit, in der es das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nicht, oder faktisch nur für wenige (meist männliche) Menschen, gab.

Eine andere Sicht aus einer anderen Zeit

Ich schreibe dir aus einer Zeit, in der wir endlich ein Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt haben. Damit sollen kirchliche Strukturen sexuelle Übergriffe weitestgehend erschweren und Verfehlungen konsequent verfolgt werden. Im Mittelpunkt steht dabei zuerst das Heil der Opfer. Und weil ich das richtig finde, fällt es mir so schwer zu lesen, was du aus deiner Zeit schreibst.

Bei dir geht es um verantwortungslosen Sex nur im Hinblick auf Gott und einen selbst. Was ist mit dem oder der Partnerin? Was, wenn sie ein Opfer ist?

Und ich staune, wie viel Macht du Täterinnen oder Tätern und Sexualität gibst, wenn zwei Menschen allein durch eine sexuelle Praktik eines Geistes, Sinnes und Körpers werden. Manchmal schreibst du so viel von Fürsorge und Rücksichtnahme auf Schwächere – hier lese ich kein einziges Wort von Liebe. Ich hoffe für alle Opfer von sexualisierter Gewalt und auch alle Täterinnen und Täter, dass selbst wenn wir uns an anderen oder uns selbst versündigen, nichts und niemand Menschen trennen kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist. (Römer 8,39).

Lieber Paulus, uns trennen zwei Jahrtausende, eine Sprachbarriere, unzählige Interpretationen und nicht weniger als Jahrhunderte turbulenter Kulturgeschichte. Uns trennen ein Menschen- und Frauenbild und darüber, was Sexualität ist oder kann, darüber sind wir uns wohl auch nicht einig.

Manches verbindet uns auch

Aber manches verbindet uns auch. Auch mir ist es wichtig, dass wir Christinnen und Christen die Balance halten zwischen unserer Freiheit und dem, was uns wieder gefangen nimmt. Ich würde auch gerne Prostitution verbieten und die meiste Pornographie auch. Ich weiß aber, dass das an den Arbeitsbedingen der Sexindustrie nichts ändern würde und an der Nachfrage auch nur wenig. Und vor allem auch das sehe ich wie du: Sexuelle Verfehlungen und Gewalt sind besonders schlimm. Sie setzen aller finanziellen, seelischen und körperlichen Unterdrückung noch die ultimative Verletzung auf. Nichts davon gehört zu Gott und seiner Welt. ABER: Wenn du hier nur an die Selbst- oder Gottesliebe der Täterinnen und Täter sowie der  Konsumentinnen und Konsumenten sexueller Gewalt appellierst, dann ist das aus Sicht der Opfer viel zu wenig und ineffektiv noch dazu (Röm 7, 18,19).

Gleichzeitig bin ich überzeugt: Auch die Täterinnen und Täter tun sich etwas an. Menschen, die Sexualität kaufen, werden zu Menschen, die sie nicht mehr als Geschenk empfangen und teilen können. Alles, was wir mit unseren Körpern und Gedanken tun, macht etwas mit uns. Natürlich kommt es dabei auf den Menschen an, aber je mehr, je öfter, je stärker wir etwas betreiben oder zulassen, je mehr prägt es uns körperlich, seelisch, aber auch geistlich. Deshalb zum Heil aller: Wir können immer wieder entscheiden, wer wir werden. Jemand, der zuerst an die anderen denkt. Weil sie die Schwächeren, die Verletzlicheren und Schutzbedürftigen sind. Oder jemand, der an den anderen und an sich denkt und nachfragt und klärt, was für beide gut ist. Oder jemand, die nur an sich denkt, weil niemand sonst betroffen ist. Am Ende steht immer das, was ein anderer zwischen unseren Zeiten schrieb: „Liebe, und dann tue, was du willst.“ (Augustinus).

Deine Schwester Katrin