Artikel teilen:

Dumm gelaufen

Fehler: Manche sind zum Lachen, manche zum Weinen – und manche bringen die Welt weiter

Der Mensch ist ein Mängelexemplar. Es gibt ihn nicht ohne Fehler. Aber die sind besser als ihr Ruf: Fehler erweitern den Horizont und führen manchmal zu ganz unerwarteten Fortschritten.

An der Ampel kurz nicht aufgepasst und auf der falschen Abbiegespur gelandet. Beim Griff ins Gewürzregal den Zucker mit dem Salz verwechselt. Schnell eine Nachricht getippt und auf „Senden“ geklickt – und dank Autokorrektur zum „Kuss“ verabredet statt zum „Kuchen“. Immer diese Fehler!

Sie lauern überall. Sie passieren aus Unaufmerksamkeit oder Ungeschicklichkeit, aus Stress oder Übermüdung und gar nicht so selten auch unter dem Einfluss von Drogen. Ein Wort, ein Griff, ein Klick, und schon ist aus dem Zustand, den wir eigentlich erreichen wollten, ein ganz anderer Zustand geworden. Einer, der die schöne geplante Reihenfolge durcheinanderbringt und zu einem chaotischen Ergebnis führt: zu einer Irrfahrt durch die Stadt, zu süßen Bratkartoffeln oder verhunzten Nachrichten.

Ärgern oder vertuschen? Oder dazu stehen

Darüber kann man sich ärgern. Oder, je nach Situation, lachen. Den meisten Menschen sind Fehler allerdings zunächst einmal furchtbar peinlich. Viele versuchen darum, sie zu vertuschen oder die Verantwortung auf andere abzuschieben, auch aus Angst vor Kritik oder Strafen. Das ist vor allem dann schlecht, wenn ein verschwiegener Fehler den nächsten nach sich zieht – Katastrophen wie Zugkollisionen, Brückeneinstürze oder Atom-GAUs sind so nicht mehr abzuwenden. Organisationen, die in besonders heiklen Sicherheitsbereichen tätig sind, setzen darum auf einen anderen Umgang mit Fehlern als den üblichen: Sie betrachten das, was schiefläuft, eher als wertvolle Informationsquelle denn als Mangel, und Mitarbeitende werden für den Hinweis darauf nicht getadelt, sondern gelobt.

Ein anderer Blick auf das Ergebnis einer Fehlhandlung kann also durchaus weiterhelfen. Dann heißt die Frage nicht mehr: Warum war ich so blöd?, sondern: Was ist das eigentlich, das ich da hervorgebracht habe? Und kann ich damit vielleicht sogar etwas anfangen?

Aus dieser Perspektive sind Fehler nicht einfach nur schlecht, sondern bisweilen höchst interessant. Weil dadurch eingefahrene Wege verlassen werden und man plötzlich entdeckt: Da gibt es ja noch etwas ganz anderes, mit dem niemand gerechnet hat, das niemand auf dem Schirm hatte. Und das öffnet neue Möglichkeiten für die Wahrnehmung und das Denken. Karriere-Handbücher raten denn auch dazu, Fehler zu riskieren und zu würdigen, weil nur so eine Weiterentwicklung möglich ist.

Auf diese Weise sind schon viele Dinge entdeckt worden, die aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken sind: Die Teflon-Beschichtung und der Post-it-Klebezettel, die Aushärtung von Gummi durch Galvanisierung und der Herzschrittmacher sind nur einige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit (siehe auch Artikel unten). Aber auch grundlegende kulturelle Fertigkeiten wie das Garen auf Feuer, der Gebrauch von Werkzeugen oder der Ackerbau sind höchstwahrscheinlich Ergebnisse langer Ketten von Versuchen und Irrtümern.

In Künstlerkreisen ist das Zulassen von Neuem, das bisher als falsch galt, geradezu eine Tugend und wird ganz bewusst genutzt. Ohne das Vorstoßen in die Welt des „Falschen“ gäbe es in der Musik weder die Tonräume eines Richard Wagners oder Arnold Schönbergs noch den Punk-Rock. Es gäbe in der Malerei nicht die veränderte Perspektive einer Paula Modersohn-Becker, eines Picasso oder einer Niki de Saint-Phalles und auch nicht die experimentellen Gedichte eines Ernst Jandls oder Kurt Martis.

Häufig kommt es also auf die Perspektive an, ob ein Fehler einfach nur falsch ist oder eine fantasievolle Umdeutung und Weiterentwicklung des Richtigen. Entsprechend unterschiedlich kann man mit ihm umgehen. Für das Lernen in der Schule zum Beispiel wäre es in vielen Fällen gut, auch das kreative Potenzial von Fehlern zu würdigen und Schülerinnen und Schüler zum Experimentieren zu ermutigen, statt jede Abweichung von der Norm mit rotem Stift zu disqualifizieren.

Allerdings ist dieses Experimentieren nicht ohne Risiko, denn natürlich können Fehler auch erhebliche Schäden nach sich ziehen. Das gilt nicht nur fürs schwungvolle Einparken, das zu heiße Waschen des Lieblingspullis oder das Öffnen einer Spam-Mail. Fehler betreffen auch das Verhältnis von Menschen untereinander und zu Gott. Die Bibel nennt das Fehlverhalten, das zu gestörten Beziehungen führt, Sünde.

Ein Ziel verfehlen kann auch Sünde sein

Der hebräische Begriff „chatha“, der solche Vergehen benennt, bedeutet eine Verfehlung gegen Gott oder Menschen. Seine Grundbedeutung ist „ein Ziel verfehlen“, etwa beim Schießen mit der Schleuder oder bei der Suche nach dem richtigen Weg. Solche Verfehlungen gibt es – gewollt oder ungewollt – natürlich auch im Umgang mit Menschen, mit der Schöpfung und mit Gott.

Aber auch wenn es in der Bibel darum geht, die Sünde möglichst zu vermeiden, ist gleichzeitig klar: Den Menschen gibt es nicht ohne Fehler. Das Vertrauen, dass Gott ihn trotzdem nicht fallen lässt und sogar aus Bösem Gutes werden lassen kann, fasst ein Satz aus der Josephsgeschichte zusammen: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ (1. Mose 50,20)