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Drama “Rohbau”: Zwischen Schuld und Verantwortung

Ein unter Druck stehender Bauleiter lässt die Leiche eines verunglückten Schwarzarbeiters verschwinden und muss sich in der Folge um die kleine Tochter des Toten kümmern, die nicht müde wird, ihren Vater zu suchen.

Der Film beginnt mit einem tödlichen Arbeitsunfall. Doch die Nacht verbirgt, was nicht ans Tageslicht kommen soll. Danach bricht auf einer Baustelle im Süden Deutschlands ein neuer Tag an. Dort, wo die Stadt auszufransen beginnt, entstehen moderne Mehrfamilienhäuser. Viel Beton, weiße Fassaden, Wohnungen, die als Eigentum für eine kaufkräftige Klientel gedacht sind.

Der Architekt, ein Vertreter der Baufirma und Bauleiter Dietrich Lutz (Peter Schneider) stellen einem interessierten Paar eine Wohnung vor. Lutz, der in diesem System westdeutscher Bauherren und Immobilienfinanziers aufsteigen will, entschuldigt sich für Dinge, die noch nicht fertiggestellt sind. Änderungen seien möglich; selbst Wände ließen sich wieder einreißen.

Sein Vorschlag kommt bei der Kundschaft gut an. Der Bauleiter, ein Außenseiter aus der ehemaligen DDR, der mit seiner eigenen Firma gescheitert ist, sieht eine rosige Zukunft. Dem Architekten und der Baufirma aber ist sein Verhalten zuwider.

Während des Rundgangs wird der Bauleiter weggerufen, weil eine Jugendliche sich unbefugt Zutritt zur Baustelle verschafft hat. Sie sucht ihren Vater, zeigt sein Foto. Lutz weist sie vom Gelände, nimmt sich ihrer aber später wieder an und fährt mit ihr zu einer anderen Baustelle.

Irsa (Angjela Prenci) behauptet, dass sie 16 Jahre alt ist, auch wenn sie de facto erst 14 Jahre zählt. Sie kommt aus Albanien. Ihr Vater ist Architekt. Beide halten sich illegal in Deutschland auf. Er arbeitet auf Baustellen. Ganz freimütig erzählt Irsa das allerdings nicht. Sie hat gelernt, Fremden gegenüber misstrauisch zu sein. Während Lutz behauptet, ihren Vater nicht zu kennen, flunkert sie ihm vor, in Deutschland eine Familie zu haben.

Lutz fährt mit Irsa durch die Gegend, kauft ihr etwas zu essen und schiebt ihr einen Schein zu, bevor er sie am Straßenrand stehen lässt. Er selbst verzieht sich danach in eine Musterwohnung, in der er sich offensichtlich eingenistet hat.

Irsa aber wird er so nicht los. Sie scheint instinktiv zu ahnen, dass er nicht alles sagt und dass mit ihrem Vater etwas nicht stimmt. Hartnäckig taucht sie immer wieder bei der Baustelle auf.

Für Lutz wird die Situation zunehmend brenzlig. Er hat illegale Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern beschäftigt, um kostengünstiger zu bauen. Nachdem alle Versuche gescheitert sind, Irsa loszuwerden, bricht Lutz mit ihr in einem alten Van zu einer Reise in deren Heimat auf.

“Rohbau”, der erste Spielfilm von Tuna Kaptan, ist realitätsnah inszeniert. Die Handlung verortet sich anfänglich in und um Mannheim. An Orten, die man Touristen eher nicht zeigen würde: Brachen, Ausfahrtsstraßen, dunkle Parks und Hinterhöfe, auf denen verlotterte Camper Unterschlupf bieten. Hier trifft man Menschen, die man in der Gesellschaft nicht sehen will: Fahrende, Flüchtlinge und illegale Migranten. Oder Menschen, die wie Lutz auf eine gescheiterte Ehe zurückblicken und ihr Dach über dem Kopf verloren haben.

Der zweite Teil des Filmes führt durch die beeindruckend weiten Landschaften Albaniens. Als dritter Ort fügt sich Berlin ins Gefüge – ein Sehnsuchtsort für Lutz und für Irsa. Lutz war dort einst glücklich und möchte dorthin zurückkehren. Irsa träumt davon, in der Hauptstadt Medizin zu studieren.

Ihr Vater, erzählt Lutz, sei aufgegriffen worden und würde alsbald nach Albanien abgeschoben, wo er auf sie warte. Nach und nach enthüllt der Film dann die Details des am Anfang nur durch Geräusche Erzählten. Irnas Vater ist auf der Baustelle ums Leben gekommen; Lutz hat die Leiche im Rhein entsorgt. Der anfänglich als vom Schicksal gebeutelt erscheinende Lutz, den Peter Schneider großartig verdruckst spielt, wird immer mehr zu einer zwiespältigen Figur. Ihm geht das Menschliche zwar nicht ab, doch sein ganz auf Eigennutz ausgerichtetes Denken und Handeln übersteigt schließlich die Empathie für die ihm “zugelaufene” Minderjährige.

“Rohbau” ist ein feinfühlig inszeniertes Drama. Die Szenen, in denen sich Irsa aus ihrer Verstocktheit löst und Lutz nicht nur den Weg weist, sondern sich auch um ihn zu sorgen beginnt, zählen zu den schönsten Momenten des Films. Sie lassen erahnen, was für die beiden möglich wäre, wenn da nicht etwas Unausgesprochenes im Raum stehen würde.

Die mutig gespielte Charakterstudie erzählt vom Leben am Rande der Gesellschaft. Sie handelt von den Träumen und Hoffnungen derjenigen, die man kaum wahrnimmt, und thematisiert dabei ungeschönt auch die Schattenseiten ihres Daseins: die permanente Unsicherheit, das Gefühl von Heimatlosigkeit, der Zwang, sich für illegale Arbeit zu verkaufen.