40 Männer stehen nackt auf einem zugefrorenen See. Es sind die Märtyrer von Sebaste, die für ihren Glauben erfrieren mussten. Besucher des Ikonen-Museums in Recklinghausen mit einem Bestand von rund 3500 Stücken können sich derzeit davon überzeugen, dass christliche Kunst nicht nur von Idealwelten und gewaltlosen Heiligen zeugt.
Ein Beispiel dafür ist auch der „heilige Georg“, der im Kampf einem Drachen seine Lanze in den Rachen rammt. Die Sonderausstellung „Von Drachenkämpfern und anderen Helden. Kriegerheilige auf Ikonen“ thematisiert Gewalt und Martyrium als Gegenstand christlicher Kunst. Mannshohe russische Kirchenikonen, feine Holzschnitzereien, prächtige Metallikonen, Amulette und Münzen gehören zu den 123 Exponaten aus dem 6. bis 20. Jahrhundert, die das 1956 eröffnete Museum anlässlich seines 60. Jubiläums noch bis zum 12. Februar zeigt.
Lutz Rickelt steht vor einer Vitrine. „Das ist eine Ampulle aus gebranntem Ton“, erklärt der Wissenschaftler vom Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Münster. Er zeigt auf ein rund 1500 Jahre altes Behältnis, das nicht viel höher als zehn Zentimeter ist: „Es stammt von der Grabstätte des ägyptischen Kriegers Menas in der römischen Armee, der für seinen christlichen Glauben enthauptet wurde.“
Rickelt ist einer von zwei Fachleuten für die Sonderausstellung. „Die Wallfahrt zum Grab des Menas entwickelte sich rasant. Und die Pilger nahmen gesegnetes Öl oder Wasser von der Ruhestätte mit. So konnten sie sich den Schutz des Heiligen immer vergegenwärtigen.“ Die Menasampullen dienten dazu, die Flüssigkeiten von einer solchen Pilgerfahrt als Mitbringsel mitzuführen.
Kuratorin Eva Haustein-Bartsch erläutert, dass es in der Ausstellung nicht um Kreuzritter oder Dschihadisten geht. „Vielmehr waren die dargestellten Personen Berufssoldaten, die nach ihrem Outing zum Christentum Probleme bekamen.“ Haustein-Bartsch, die seit 33 Jahren für die Ikonensammlung verantwortlich ist, verweist auf die überragende Bedeutung einiger der sogenannten Kriegerheiligen. „Der heilige Georg ist zum Beispiel nicht nur Patron Englands, sondern sogar Namensgeber des Staates Georgien.“
Oleksandr Zabirko vom Slawisch-Baltischen Seminar der Universität Münster ist neben Lutz Rickelt der zweite Experte für Teile der Sonderausstellung. Zabirkos Fachgebiet sind die „Kriegerheiligen“ in der Geschichte Russlands. Eine Ikone hat sein besonderes Interesses geweckt: die Darstellung des „heiligen Aleksandr Nevskij“, ein fast anderthalb Meter hohes Werk. „Der Fürst und Feldherr aus dem 13. Jahrhundert wird mit militärischen Siegen im Kampf gegen zwei katholische Mächte – Schweden und den Deutschen Orden – verbunden. Beste Voraussetzungen für einen von der Kirche propagierten russischen Staatsheiligen“, analysiert Zabirko.
Nicht ohne Grund habe der Moskauer Patriarch Kyrill I., der als wichtige Machtstütze von Präsident Putin gilt, diesen Kämpfer gepriesen, weil er die russische nationale Identität vor einer „zivilisatorischen Gefahr“ aus dem Westen bewahrt habe. „Es fällt nicht schwer, in dieser Aussage das kirchliche Pendant zur gegenwärtigen anti-westlichen Rhetorik des Kremls zu sehen“, so Zabirko.
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