In der Dokusoap “Herbstresidenz” macht Tim Mälzer mithilfe behinderter Menschen ein Altersheim lebenswerter. Das ist oft rührselig, aber ein ebenso guter wie unterhaltsamer Ansatz gegen die Ödnis solcher Einrichtungen.
Tragödien, ob reale oder fiktionale, folgen für gewöhnlich einer standardisierten Dramaturgie. Um das Dunkel der Nacht finsterer, also fesselnder zu machen, scheint tagsüber eben immer die Sonne. Und weil das niemand besser weiß als RTL, taucht dessen kleine Tochter Vox ihre “Herbstresidenz” zunächst in gleißendes Licht, das Personal und Bewohnern des Caritas-Wohnheims St. Nikolaus am Knick der Moselschleife von Bernkastel-Kues so strahlend aufgeht. Allesamt bester Laune hier soll das wohl signalisieren.
Schließlich kümmert sich ein knappes Dutzend hochmotivierter Azubis im Vox-Auftrag um ein gutes Dutzend Bewohner. Und wer den Vorspann der vierteiligen Dokusoap sieht, kriegt gleich mal feuchte Augen – so hingebungsvoll betreuen da zehn junge Menschen mit Behinderung 15 Greise, denen die ungewohnte Zuwendung spürbar den Lebensabend versüßt. Ganz ehrlich: Es ist einfach schön, wie sich Tim Mälzer und André Dietz zwei Jahre nach ihrer preisgekrönten Koch-Show “Zum Schwarzwälder Hirsch” ab 5. März abermals für die Inklusion in Deutschland einsetzen. Doch der Reihe nach.
Denn kurz nach der sonnigen Einführung ziehen schwarze Wolken über St. Nikolaus auf. “Ich würde gern mal mit denen sitzen und Kaffee trinken”, sagt die erfahrene Altenpflegerin Carmen. “Geht aber ned”, fügt sie hinzu und gleich noch mal: “Es geht einfach ned.” Denn wie nahezu jeder Senioreneinrichtung im Land fehlt es auch dieser an Zeit, Geld und Personal. Stattdessen gibt es oft Langeweile, Kummer und Fatalismus, was die Serie schon in den ersten 30 von 360 Minuten spürbar macht.
Denn obwohl die Pflegekräfte oft Übermenschliches leisten, wird der Lebensabend Betroffener oft zur endlosen Nacht, in der die letzten Tage auf Erden eher absolviert als gelebt werden. Ein oft monotones Dunkel, das Mälzer und Dietz wie üblich im Help-TV emotional ausleuchten in ihrem TV-Experiment.
Innerhalb dreier Monate sollen zehn geistig beeinträchtigte Menschen, vorwiegend mit Down-Syndrom, das katholische Altersheim von der End- zur Zwischenstation auslaufender, nicht abgeschlossener Lebensläufe machen. Mehr noch: Weil sie die Ausbildung zu Pflegeassistenten vom unterfordernden Alltag sogenannter Behindertenwerkstätten auf den ersten Arbeitsmarkt befördert, gewinnen auch die Hilfskräfte ein Stück dessen zurück, von dem hier oft die Rede ist: Würde. Eine Win-win-Situation, die niemanden kaltlässt.
Nach anfänglicher Skepsis nämlich gewinnen die Lehrlinge Stück für Stück das Zutrauen alter Leute, die in Kopf und Herz ziemlich jung geblieben sind. Sie mögen alle über 80 sein; mit ihrer unverstellten, oft taktlosen, stets aufrichtigen Art aber zeigen ihnen die jungen Helfer, dass Alter keine Frage der Jahre ist. Entscheidend ist vielmehr, was man daraus macht – besser: Machen darf. Bisher waren “Altersheime wie Geschlechtskrankheiten”, sagt Mälzer mit norddeutscher Kodderschnauze: “Man spricht nicht drüber”. Und wenn Vox jetzt doch drüber spricht, ist natürlich beileibe nicht alles gut.
Wie so oft im Dokutainment sucht und findet die Serie rührselige Szenen, über die dann anlassweise trauriger oder heiterer Befindlichkeitspop gekübelt wird. Und nur weil zwei saturierte Promis mithilfe werbefinanzierter Fernsehkanäle in die Bresche des klammen Sozialstaats unterm Druck marktliberaler Kräfte springen, kriegt abseits nobler Seniorenresidenzen von Blankenese bis Starnberg kein einziges Altersheim bunte Tapeten.