In Detmold steht ein Gebäude, das Denkmalschützer auf das Jahr 1633 datieren: eine Hofsynagoge, die älteste in Nordwestdeutschland. Der Besitzer will das halb verfallene Haus abreißen und dafür Parkplätze einrichten. Seit Jahren gibt es Streit um das Denkmal. Die nächste Gerichtsverhandlung steht bevor.
Bis ins 18. Jahrhundert durften die jüdischen Gemeinden ihre Bethäuser nicht an deutlich sichtbaren Orten haben. In den Städten entstand so der Bautyp der „Hofsynagoge“, verborgen im Hinterhof und nur durch ein anderes Haus zugänglich. 1633 entstand in Detmold eine solche Hofsynagoge. Sie diente nur rund hundert Jahre als Bethaus und war dann zu klein geworden.
Die älteste Detmolder Synagoge war über ein Vierteljahrtausend „vergessen“, bis der Besitzer 2010 einen Abbruchantrag stellte. Das führte zu einer eingehenden bauhistorischen Untersuchung des Denkmals, das bis dahin als „Gartenhaus“ von etwa 1700 gegolten hatte. Ergebnis: Das später stark veränderte Gebäude erwies sich als Hofsynagoge und damit als „einzigartiges historisches Zeugnis und für die Geschichte dieses Bautyps unverzichtbares Beispiel“, so die Bauhistoriker Peter Barthold und Fred Kaspar vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in Münster.
Religiöse Vorschriften waren erfüllt
Eine dendrochronologische Untersuchung, die das Holzzeitalter bestimmt, ergab, dass das Kerngerüst des Fachwerkhauses 1633 errichtet wurde. Alle religiösen Vorschriften für eine Synagoge waren erfüllt: Das Haus ist nach Osten ausgerichtet, so dass Tageslicht aus Richtung Jerusalem in den Betsaal einfiel, in der Mitte der Ostwand war Raum für einen Thoraschrein, davor ein erhöhter Platz (Bima) mit Vorlesepult.
All das lässt der Eigentümer nicht gelten. Für den Detmolder Rechtsanwalt Hendrik Schnelle entstammt das Gebäude dem 19. Jahrhundert. Alle historischen und bauhistorischen Belege sucht er auf seine Weise zu widerlegen. Beispiel: Ein von Georg Wegemann (1876-1961) rekonstruierter Stadtplan von 1660 verzeichne kein Haus auf dem Hof hinter dem Haus Krumme Straße 28. Daraus schließt Schnelle, das betreffende Grundstück sei 1660 unbebaut gewesen.
“Eine abbruchreife Ruine”?
Wegemann war aber keine „führende Koryphäe“, wie Schnelle meint, sondern ein Hobbyforscher, der von den Historikern seiner Zeit nicht ernst genommen wurde. Der 1952 rekonstruierte Stadtplan, auf den sich Schnelle bezieht, stammt obendrein gar nicht von Wegemann, sondern von dem Detmolder Archivmitarbeiter Helmuth Riemann, der einräumt, dass – ausgerechnet – in der Krummen Straße „einige wenige Hausstätten nicht bestimmt werden (konnten), auch sind hier geringfügige Irrtümer möglich“.
Der Abbruchantrag wurde abgelehnt, eine Klage dagegen vor dem Verwaltungsgericht Minden blieb in erster und zweiter Instanz erfolglos. Schnelle, der 2002 wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, betreibt zu seiner Immobilie eine Homepage mit beleidigenden Zeichnungen. Er schreibt: Das Gebäude, das „nach dem Wunschdenken heutiger Zeitgenossen“ als eine ehemalige Hofsynagoge von 1633 angesehen werden solle, sei „eine abbruchreife Ruine, welche unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt erhaltenswert ist“.
Verurteilung wegen Volksverhetzung
Den Streit um das Denkmal greifen nach Berichten in der Lokalpresse seit 2022 überregionale Medien auf. Von vielen Seiten regt sich Widerstand gegen einen Abriss. Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, fordert ein Enteignungsverfahren. Der Landtag beschäftigt sich mit dem Thema. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, von der Initiative „Omas gegen Rechts“ um Hilfe gebeten, mahnt zum respektvollen Umgang mit dem jüdischen Erbe in Deutschland.
Die Antisemitismusbeauftragte für das Land NRW, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, setzt sich für den Erhalt des Baudenkmals ein. Es gibt zahlreiche Gespräche, Vorträge, Mahnwachen, eine Unterschriftenaktion, eine Ausstellung und vieles mehr.
Den Rechtsanwalt Schnelle beeindruckt das nicht. Im November 2023 veranstaltet er in dem Gebäude eine „Happy Halloween“-Feier mit Gruselgestalten an den Fenstern, an Weihnachten ist durch die Fenster eine großflächige palästinensische Flagge zu sehen. Beide Aktionen werden von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) als antisemitischer Vorfall dokumentiert.
Begegnungsstätte für alle Religionen
Für den Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, Matitjahu Kellig, ist Schnelle ein „Nazi“. Die ehemalige Hofsynagoge sollte „eine historische Begegnungsstätte für alle Menschen aller Religionen“ werden, sagt Kellig, der bis zu seinem Ruhestand Professor an der Detmolder Musikhochschule war.
Im Februar 2024 bildet sich auf Initiative der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GfCJZ) in Lippe ein Aktionsbündnis, in dem unterschiedliche Gruppen und Institutionen vertreten sind. Als christlicher Vorsitzender der GfCJZ findet Oliver Arnhold – wie Kellig –, dass das Denkmal als Lern- und Begegnungsstätte an seinen historischen Ort gehört. Arnhold hofft, dass die finanziellen Auflagen für die Denkmalpflege so hoch sind, dass der Eigentümer irgendwann nachgibt.
Das sehen andere anders. Der Eigentümer selbst hat den Gedanken ins Spiel gebracht, das marode Haus zu verpflanzen. Für Joanne Herzberg, jüdische Vorsitzende der GfCJZ, wäre eine Translozierung eine Win-Win-Situation: Schnelle wäre sein ungeliebtes Denkmal los, und es könnte sogar ganz in der Nähe oder jedenfalls in der Detmolder Innenstadt wieder aufgebaut werden – als „Gemeinschaftszentrum für jedermann“. Auch ihre Stellvertreterin Petra Hölscher meint, ideal wäre zwar eine Rekonstruktion genau am historischen Ort, aber um überhaupt zum Ziel zu kommen, sei ein Kompromiss notwendig. „Beharren wir auf der Maximalforderung, verfällt das Haus weiter“, sagt Petra Hölscher und fragt außerdem: „Wie sollen wir uns als Juden unter den Augen von Herrn Schnelle entfalten?“
Das marode Haus an einen anderen Ort „verpflanzen“?
Die in den USA geborene Joanne Herzberg, Enkelin des letzten Detmolder Synagogenvorstehers vor dem Holocaust, erklärt: „Nichts im Judentum sagt, dass Häuser nicht versetzt werden dürfen.“
Währenddessen beobachtet die Stadt Detmold als Untere Denkmalbehörde den Zustand des Gebäudes, „um den Eigentümer gegebenenfalls anzuhalten, seiner Erhaltungspflicht nachzukommen“, erklärt Pressesprecher Thorsten Engelhardt. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden hat der Jurist Schnelle Berufung eingelegt. Der Prozess vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster ist am 19. September.