Spannender Dokumentarfilm über die Hamburger Kriminalkommissarin Marianne Atzeroth-Freier, die sich als Frau in einer Männerwelt behauptete und unter anderem die “Säurefass-Morde” aufklärte.
Kurze Sequenzen erinnern an alte Fernsehbilder, deren Antennenempfang zeitweilig gestört ist. Sie zeigen eine gut gelaunte Frau am Schreibtisch und vor einer Wand mit Fotos und Notizen, dazwischen Tonaufnahmen. Dann die ersten Inserts, darunter auch die Information, dass Regisseur Matthias Freier der Stiefsohn der Kriminalkommissarin Marianne Atzeroth-Freier war.
Private Fotos sind zu sehen, dazu die auffällig klare Stimme der Polizistin, schließlich der Titel und die ersten nachgestellten Bilder: Eine Frau in Polizeiuniform, gespielt von Constanze Andree, blickt in die Kamera und zupft sich die Krawatte zurecht, als stünde sie vor einem Spiegel.
Dazu berichtet Marianne Atzeroth-Freier von ihrer Arbeit bei der Polizei. 1975 wurde sie als Schutzpolizistin eingestellt, eine von wenigen Frauen. Anfang der 1980er-Jahre erfolgte die Versetzung zur “Sitte” und ihre Mitwirkung in sogenannten “Verhandlungsgruppen”: Bei Geiselnahmen sprach sie mit dem Täter, bei Entführungen mit den Angehörigen.
Nach der Aufklärung eines relativ spektakulären Entführungsfalls 1991 kommt sie zur Mordkommission – und ist dort zur Untätigkeit verdammt. Als einzige Frau in einem Männerteam wird sie von allen ignoriert. In der Verhandlungspause des noch zum Entführungsfall gehörenden Prozesses spricht sie eine unbekannte Frau an. Ihre Tochter sei verschwunden und habe den Angeklagten ebenfalls gekannt.
Atzeroth-Freier beginnt zu recherchieren und stößt auf immer mehr Merkwürdigkeiten, die auch das Verschwinden der Ehefrau des Angeklagten betreffen. Doch keiner ihrer Kollegen nimmt sie ernst. Eine ehemalige Kollegin sagt: “Sie hat kein Bein an Deck bekommen” – und: “Sie hat sich wie ein Terrier in den Fall verbissen.”
Atzeroth-Freier ermittelt in ihrer Freizeit, weil sie den Fall im Dienst nicht untersuchen darf. Niemand liest ihre Akten und Ermittlungsergebnisse. Doch sie ist letztlich erfolgreich und behält mit ihren Vermutungen recht. Der Mörder wird überführt, doch ihre Arbeit wird nicht anerkannt.
Es scheint, als ob die Kommissarin den Männern lästig ist, weil sie ihre bequeme Routine stört. Sie hat es gewagt, als Frau in die unheilige patriarchalische Allianz männlicher Machtstrukturen einzubrechen. Dafür muss sie bestraft werden. Doch sie bleibt ruhig und erträgt still alle Demütigungen und Frechheiten ihrer Kollegen.
Der Film betrachtet nicht nur den Kriminalfall, sondern auch die Zeit nach der Festnahme des Täters. Erst nach dem Tod von Atzeroth-Freier im Jahr 2017 wurde der taffen Kommissarin Beifall gezollt. Die Morde, die sie aufgeklärt hatte, stießen auf mediales Interesse. Wohl auch, weil die Faszination des Grauens hier auf die Realität trifft; die Serie “Gefesselt” entstand auf der Grundlage der “Säurefass-Morde”.
Doch Filmemacher Matthias Freier geht in “Die Unsichtbaren” einen sehr persönlichen Weg: Er stellt die Polizistin in den Mittelpunkt, nicht die Verbrechen oder den Täter. Er analysiert die Arbeit der Kommissarin und ihre Persönlichkeit, ohne in Privates abzugleiten oder bloße Sensationsgier zu befriedigen.
Marianne Atzeroth-Freier steht sinnbildlich für alle “Unsichtbaren”, nicht nur die ermittelnden Kriminalbeamtinnen und -beamten, sondern auch die Opfer und ihre Angehörigen, die hier ebenfalls eine Stimme erhalten. Freier konnte auf eine riesige Materialfülle zurückgreifen: auf viele Tonaufnahmen seiner Stiefmutter, Fotos, Interviews mit Beteiligten und Betroffenen, Archivbilder des Fernsehens.