Artikel teilen

Die Seenotretter wehren sich gegen Italien

Italiens Regierungschefin Meloni hatte im Wahlkampf versprochen, die Migration stark einzudämmen. Doch Gerichte kassieren Maßnahmen gegen Schiffe immer öfter ein. Jetzt werden die Seenotretter aktiv.

Die Sea-Watch 4 im Hafen von Palermo
Die Sea-Watch 4 im Hafen von PalermoThomas Lohnes / epd

Etwa 50 Personen haben sich versammelt. Anfang April demonstrieren sie vor dem Gerichtsgebäude in Massa. Auf ihrem Banner steht: „Solidarität ist kein Verbrechen“. In der toskanischen Stadt wird derzeit darüber verhandelt, ob die Festsetzung des Rettungsschiffes „Geo Barents“ von „Ärzte ohne Grenzen“ rechtens war. Für diesem Freitag ist ein weiterer Termin angesetzt.

Die Hilfsorganisation hatte gegen die Festsetzung Klage eingereicht – nicht die einzige in den vergangenen Wochen. Zuletzt konnten die Seenotretter Erfolge vor Gericht erzielen.

„Geo Barents“ von italienischen Behörden festgesetzt

Am 20. März war die „Geo Barents“ mit 249 im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen und Migranten an Bord im Hafen von Marina di Carrara eingelaufen. Kurz darauf wurde das Schiff von den italienischen Behörden für 20 Tage festgesetzt. Der Grund: Die Crew war den Schutzsuchenden in drei aufeinanderfolgenden Einsätzen zu Hilfe gekommen. Das aber ist nach aktueller italienischer Gesetzeslage verboten.

Anfang 2023 hatte die italienische Regierung unter der rechtsnationalen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ein entsprechendes Dekret erlassen. Dieses schreibt unter anderem vor, dass zivile Schiffe nach einer Rettung sofort den ihnen zugewiesenen Hafen anlaufen müssen. Bei einem Verstoß drohen bis zu 10.000 Euro Strafe und die Festsetzung des Schiffes für mindestens 20 Tage. Die „Sea-Eye 4“ der gleichnamigen Organisation wurde am 11. März in Reggio Calabria sogar für 60 Tage festgesetzt.

Die Rettung von Flüchtlingen von der Crew der „Lifeline“ im Mittelmeer
Die Rettung von Flüchtlingen von der Crew der „Lifeline“ im Mittelmeerepd

Auch darüber hinaus haben die Behörden die Gangart gegenüber den Seenotrettern verschärft. Laut SOS Humanity wurde den Schiffen von Hilfsorganisationen 2023 in 107 Fällen nach dem Rettungseinsatz ein weit entfernter Hafen zugewiesen. Insgesamt seien so mehr als 150.000 zusätzliche Kilometer zurückgelegt worden.

Maßnahmen, die wohl vor allem Symbolpolitik sind: Nur acht Prozent der rund 157.000 Flüchtlinge und Migranten, die 2023 über das Mittelmeer nach Italien gekommen sind, wurden von zivilen Rettungsschiffen an Land gebracht. Für den Großteil der Rettungen ist die italienische Küstenwache verantwortlich.

„Schikane“ durch italienische Behörden

Gegen die „Schikane“ durch die italienischen Behörden, wie sie es nennen, setzten sich die Seenotretter nun immer öfter mit Klagen zur Wehr. Die Festsetzung der „Humanity 1“ erklärte ein Richter zuletzt vorläufig als rechtswidrig. Das Schiff wurde sofort wieder freigegeben. Die finale Anhörung vor dem Zivilgericht in Crotone ist für Mitte April geplant.

Ein weiterer juristischer Erfolg: Strafen drohten laut dem Gesetz auch, wenn die Seenotretter die Menschen nicht nach Libyen zurückbringen, sollte ihnen das von der Leitstelle in Rom befohlen werden. Diese Regel ist seit ein paar Wochen faktisch hinfällig. Im Februar stufte das Oberste Gericht Italiens die Rückführung von Bootsmigranten nach Libyen als Verstoß gegen italienisches und internationales Recht ein.

Verbot von Einsätzen widerspreche internationalen Übereinkommen

Der Rechtsexperte Valentin Schatz, der die Organisation Sea-Eye berät, hält das Vorgehen der italienischen Behörden und das Gesetz für rechtswidrig. Dafür gebe es mehrere Gründe, sagte der Juniorprofessor für öffentliches Recht und Europarecht an der Leuphana Universität in Lüneburg dem Evangelischen Pressedienst (epd). So widerspreche ein Verbot mehrerer Rettungseinsätze internationalen Übereinkommen, die eine Rettungspflicht beinhalten.

„Aus diesen Übereinkommen lässt sich ohne Weiteres eine Pflicht ableiten, Handlungen zu unterlassen, die der Verhinderung von Rettungshandlungen dienen und diese faktisch auch zur Folge haben“, sagt Schatz. Zudem habe kein Küstenstaat die Kompetenz, Regeln zur Seenotrettung ausländischer Schiffe auf Hoher See zu erlassen.

Eskalation der Behinderung ziviler Seenotrettung

Trotz der Teilerfolge vor Gerichten haben die Seenotretter das Gefühl, dass Italien seine Regeln derzeit rigider durchsetzt als zuvor. Sea-Watch spricht gar von einer Eskalation der Behinderung ziviler Seenotrettung. Nachdem in der letzten Märzwoche vier Schiffe zeitgleich festgesetzt waren, hat „Sea-Eye-4“-Einsatzleiterin Julia Schweickert unter dem Hashtag #FreeTheShips eine Petition gestartet, um die Schiffe aus der Blockade zu befreien.

Mehr als 14.000 Mal wurde der Aufruf bisher unterzeichnet. „Eigentlich wäre ich auf dem offenen Meer und hätte keine Zeit, das hier zu schreiben“, betont Schweickert.