Wohl selten war eine Bundestagswahl so herausfordernd: Wirtschaftskrise, Erstarken rechter Gedanken, Migration, Klimawandel, wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Manche Wähler sind unentschlossen bis in die Wahlkabine.
Schlagworte, einfache Antworten auf komplexe Sachverhalte, herausgeputzte Kandidatinnen und Kandidaten auf Wahlplakaten. Dazu die Frage: strategisch wählen oder die Person, die einem am sympathischsten ist – einmal mehr sehen sich viele vor der Qual der Wahl. Wem soll man also bei der anstehenden Bundestagswahl seine Stimme geben? Der Essener Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer hat ein paar Leitlinien, um sich im Wahl-Dschungel zurecht zu finden.
Die kommende Bundestagswahl sei von vielen subjektiven Faktoren bestimmt, erklärt der Professor für politische Bildung an der Universität Duisburg-Essen. Er empfiehlt, sich nicht von Gefühlen leiten zu lassen, sondern der Partei seine Stimme zu geben, die am meisten den eigenen Werten und Vorstellungen entspricht.
Wahlplakate mit nur einem Schlagwort hält Hufer für wenig hilfreich bei der Entscheidung. Wer sich differenziert informieren wolle, bei dem führe kein Weg am Studium der Wahlprogramme vorbei – “auch wenn sie keine leichte Lektüre sind und mitunter 100 Seiten umfassen”.
Denn: Verständlich sind sie 2025 oft auch nicht, das hat eine Auswertung der Universität Hohenheim ergeben. Die Forscher kritisieren Fachsprache und zu viele Fremdwörter. Hinzu kämen Bandwurmsätze mit bis zu 69 Wörtern (Bündnis Sahra Wagenknecht), Wortungetüme wie “Telekommunikationsnetzausbaubeschleunigungsgesetz” (FDP) und Fachbegriffe wie “Small Modular Reactors” (CDU/CSU), “Quick-Freeze” (Grüne) oder “Catcalling” (SPD).
Ohnehin ist Politik laut Hufer “höchst kompliziert und hochgradig differenziert”. Auch wenn im Wahlkampf schnell emotionalisiert werde, sollte man “eine rationale Entscheidung treffen und sich von einfachen Zuschnitten frei machen”. Für hilfreich hält Hufer den Wahl-O-Mat, der aus 20 Parteiprogrammen eine Schnittmenge herausfiltere – “er ist eine gute Quelle der Meinungsbildung”.
Erstmals gibt es bei dieser Bundestagswahl auch den sogenannten Real-O-Mat, entwickelt von der Transparenz- und Rechercheplattform FragDenStaat in Kooperation mit elf zivilgesellschaftlichen Organisationen. Mit ihm sollen Wählende das tatsächliche Abstimmungsverhalten der Parteien im Bundestag in der vergangenen Legislaturperiode überprüfen können.
Er soll zeigen, wie sich die Parteien wirklich positioniert haben – etwa in den Bereichen Innere Sicherheit und Verteidigung, Migration, Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Gesundheit und Energie. Politologe Hufer hat zu diesem Angebot eine entschiedene Meinung: “Das ist wenig aussagekräftig – es bildet Entscheidungen der Ampelkoalition ab und nicht der einzelnen Parteien”.
Einen klaren Tipp für die kommende Bundeswahl hat die Kampagnen-Organisation Campact: die eigene Stimme klug einsetzen und keine Kleinstparteien wählen. Parteien wie Volt und Die Partei schafften mutmaßlich nicht die 5-Prozent-Hürde – und hätten damit keine Chance auf Direktmandate im Bundestag, heißt es in einer Erklärung.
Wer sie – bei allem Frust über etablierte Parteien und aus persönlicher Überzeugung – trotzdem wähle, “verschenkt seine Stimme.” Campact verweist auf die Europawahl im Juni 2024, bei der 28 Prozent aller Stimmen von Erstwählenden an diese gegangen seien. Dabei gibt es einen Unterschied zur kommenden Bundestagswahl: Bei der EU-Wahl gab es keine 5-Prozent-Hürde, so dass es auch kleine Parteien ins EU-Parlament geschafft haben.
Hufer rät, die Wahl einer Kleinstpartei gut abzuwägen. Wenn diese über 0,5 Prozent der Stimmen bekomme, erhalte sie von der staatlichen Parteienfinanzierung 0,87 Euro pro Stimme, für die ersten vier Millionen Stimmen sogar jeweils 1,06 Euro – “das kann eine finanzielle Basis für deren künftige Organisationsstruktur sein”. Gleichwohl rät der Wissenschaftler davon ab eine Kleinstpartei zu wählen, wenn man taktisch wählen möchte: Denn damit falle eine Stimme für eine der großen Parteien weg.
Wie man es auch dreht und wendet – “die Entfremdung von großen Parteien scheint groß zu sein”, beobachtet Hufer; viele fragten sich “welche Partei das geringste Übel” sei. Als Professor wisse er von vielen Studenten, die bewusst Volt wählten – “da finden sie sich am ehesten wieder”; und mit ihrer Stimme stehe mutmaßlich mehr Geld für den weiteren Aufbau der Partei zur Verfügung. Ein sehr differenziert denkender Kollege habe sich ihm gegenüber geoutet, die Tierschutzpartei zu wählen – “um einen Beitrag zu leisten, das Parteienspektrum zu erweitern”.