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Die Polizei warnt – Enkeltricks nach Todesanzeigen häufen sich

Wenn ein Angehöriger stirbt, ist die Trauer groß – und der Gefühlshaushalt durcheinander. Diese emotionale Belastung nutzen Kriminelle durch betrügerische Schockanrufe aus, warnen Kriminalbeamte.

Der Mann stirbt, die Witwe trauert – und bekommt, kaum hat sie die Todesanzeige in der Zeitung veröffentlicht, seltsame Anrufe: “Hallo Mama, hier ist Anna, Frank ist schuld an einem schlimmen Unfall. Ich brauche 50.000 Euro Kaution, sonst kommt er ins Gefängnis.”

Die Betrugsmasche, nach einer Todesanzeige gezielt Trauernde anzurufen und unter falschem Namen eine Kautionsforderung zu stellen, gebe es bundesweit schon länger – allerdings häufen sich entsprechende Anzeigen auf seiner Dienststelle in letzter Zeit, sagt Kriminalhauptkommissar Christian Berneit, der im Landeskriminalamt Berlin den Bereich zu Enkeltrick-Betrügern leitet. Genaue Zahlen zu dieser Betrugsmasche gebe es nicht; die Statistik erfasst nur die Enkeltrick-Anrufe insgesamt.

“Mit solchen Anrufen wird die emotionale Belastung von Trauernden ausgenutzt”, sagt Berneit. Die Täter rechneten damit, dass die Menschen nach einem Todesfall leichter zu verunsichern seien. Hinzu komme, dass die persönlichen Daten, die sich einer Todesanzeige leicht entnehmen lassen – wie etwa Namen der Kinder oder Enkelkinder der Witwe -, dem Täter ein Wissen an die Hand geben, das er für seine Zwecke instrumentalisiert.

Typisch ist, am Telefon ein “Maximalschreckensszenario” auszumalen, damit das Entsetzen entsprechend groß ist: “Es ist jemand vom Sohn oder der Schwiegertochter totgefahren worden, vielleicht sogar eine schwangere Frau”, sagt Berneit. “Solche Anrufe gehen oft mit lauten Schluchzen einher, damit der oder die Angerufene sich nicht wundert, dass die Stimme der Tochter plötzlich anders klingt. Oft handelt es sich um Frauen, die anrufen.”

Das Problem sei dabei nicht die Todesanzeige in der Zeitung – sondern die Veröffentlichung derselben im Internet. Dies ist bei vielen Verlagen aber Usus: Wer eine Todesanzeige im Blatt schaltet, stimmt automatisch – meist ohne ausdrückliche Zustimmung – zu, dass die Anzeige auch online geht: Viele Zeitungen haben Kooperationen mit Trauerportalen oder stellen die Anzeige im Trauerbereich des eigenen Online-Auftritts ein.

Nicht nur am Wohnort des Verstorbenen, wo die gedruckte Zeitung erscheint, sondern weltweit können Täter somit recherchieren, wer gerade gestorben ist, an welchem Ort Trauerfeier und Beerdigung stattfinden und wo sich entsprechend ein Anruf lohnen könnte. “Sie suchen gezielt nach älteren Menschen, das kann man ja anhand der Daten des Verstorbenen leicht machen”, sagt Berneit.

Wenn dann unter dem verstorbenen Herbert noch eine Brigitte als erste Trauernde steht, ist klar, dass es sich um ein Paar handelt, das vermutlich über 70 Jahre alt ist: “Ältere und alleinlebende Menschen sind häufig die Zielgruppe dieser Betrüger.”

Die Daten aus der Traueranzeige in Verbindung mit Eintragungen in Online-Telefonbüchern ermöglicht es dann den Tätern, gezielt Angehörige des Verstorbenen zu finden. “Ältere Leute stehen oft noch im Telefonbuch, was ebenfalls online seine Daten veröffentlicht – mit einem Klick haben die Betrüger die Nummer und Adresse raus, wobei die Täter im Bereich Enkeltrick gezielt nach alt klingenden Vornamen suchen; deshalb sollte jeder prüfen, ob er nicht seine Telefonnummer aus den Online-Telefonbüchern löschen lässt”, sagt Berneit.

Die meisten der Betrugsanrufe im Bereich Enkeltrick/Schockanruf kämen aus dem Ausland, fügt der Experte hinzu – beispielsweise aus der Türkei oder Polen. “Es spricht viel dafür, dass die Täter lange in Deutschland gelebt haben, vielleicht sogar hier geboren sind, weil sie perfekt Deutsch sprechen.” Für die Anrufe würden eigens Hotelzimmer oder Wohnungen kurzfristig angemietet. “Von hier wird dann oft mit technisch veränderter Nummer angerufen: Es sieht aus wie eine deutsche Telefonnummer.” Deutschland sei kein Einzelfall: “Die Täter agieren international, solche Methoden gibt es in ganz Europa und auch in den USA.”

Für die Abholung des Geldes greifen die Anrufer aus dem Ausland dann auf Mittäter vor Ort zurück. Am Telefon wird zum Beispiel die Geschichte erzählt, dass die Kaution, die gezahlt werden muss, damit der Unfallverursacher nicht ins Gefängnis muss, in bar übergeben werden müsse – “und zwar häufig ein fünfstelliger Betrag, etwa 50.000 Euro. Mit 5.000 Euro geben die sich nicht zufrieden”, warnt Berneit.

“Dann wird beispielsweise ein Treffpunkt in der Nähe des Gerichts vorgeschlagen und gesagt, dass ein Mitarbeiter des Gerichts kommt, um das Geld abzuholen. Damit will man Seriosität suggerieren”, erklärt Berneit und stellt klar: “In Deutschland wird niemals die Staatsanwaltschaft oder die Polizei am Telefon eine Geldforderung stellen oder gar die Übergabe einer ‘Sicherheitsleistung’ oder ‘Kaution’ an der Wohnungstür oder an einem öffentlichen Platz verlangen.”

Neben Betrügern könnten sich auch Einbrecher Daten aus einer Todesanzeige zu nutzen machen – denn dort wird das Datum der Beerdigung veröffentlicht, zu dem wahrscheinlich niemand zu Hause ist, sondern alle auf dem Friedhof sind. “Ein solches Delikt ist denkbar, konkrete Erkenntnisse dazu, dass dies gezielt von den Tätern ausgenutzt wird, liegen jedoch nicht vor. Wer sich deshalb Sorgen macht, sollte einen Nachbarn bitten, in der Zeit der Beerdigung ein Auge auf das Haus zu haben”, empfiehlt Berneit.