Am Ende des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieges mussten vor 80 Jahren mehr als 14 Millionen Deutsche ihre Siedlungsgebiete in Mittel-, Südost- und Osteuropa verlassen. Die Historikerin Gundula Bavendamm, Direktorin des Berliner Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung, über ein Thema, das die Erlebnis-Generation und deren Nachfahren immer noch beschäftigt.
epd: Welche Bedeutung haben Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem Osten 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges heute noch für unsere Gesellschaft?
Bavendamm: Das Thema hat immer noch eine große Bedeutung. Ein Viertel der Bevölkerung mit deutschen Wurzeln hat einen familiären Hintergrund, der zurückgeht auf die Zwangsmigrationen am Ende des Zweiten Weltkrieges. Was wir stark merken: Es gibt die zweite oder dritte Generation, die oft einen Nachholbedarf hat und mehr über das Leben ihrer Vorfahren wissen möchte. Viele Menschen haben es versäumt, mit den Eltern oder Großeltern zu sprechen, weil zum Beispiel die eigene Familien- oder Berufsplanung keine Zeit dafür ließ. Im mittleren Alter bedauern das viele. Sie wollen die Geschichte ihrer Familie besser verstehen und finden mit ihren Fragen den Weg in unser Dokumentationszentrum.
epd: Besteht nicht die Gefahr, dass Traumata wieder aufleben, wenn man diejenigen befragt, die Flucht und Vertreibung erlebt haben?
Bavendamm: Ob jede schreckliche Erinnerung gleich ein Trauma ist, müssen Psychologen beantworten. Aber natürlich sind die Menschen, die eine Vertreibung erlebt haben, oft emotional aufgewühlt, wenn sie von der Vergangenheit erzählen. Gerade für diejenigen, die damals Kinder waren, sind es einschneidende Ereignisse. Sie konnten die Eindrücke und Abläufe ja nicht einordnen. Dann brennen sich Bilder ein, etwa wenn Bomben fallen oder Menschen, vielleicht sogar Angehörige, umkommen oder getötet werden. Dass man diese Bilder nicht loswird, ist sehr menschlich.
epd: Ihr Mitarbeiter Andreas Kossert beschreibt in seinem Buch „Kalte Heimat“, dass die Vertriebenen nicht sehr freundlich aufgenommen wurden?
Bavendamm: 1945 gab es weder in Ost noch in West eine „Willkommenskultur“. Innerhalb von drei, vier Jahren strömten rund 12,5 Millionen Menschen in ein Land, das durch den Verlust der Ostgebiete um ein Viertel kleiner war. Vor allem sozialpolitisch war das eine immense Aufgabe: Die Städte waren zu 80 bis 90 Prozent zerstört, die Infrastruktur lag am Boden, es gab keinen Wohnraum und eine Hungersnot. Da hat die Aufnahmegesellschaft nicht sehr positiv reagiert, weil es überall den Überlebenskampf gab.