Von Wolfgang Thierse
Diskutiert wird heute: Braucht unsere Gesellschaft mehr Engagement von Gruppen? Sind „Wutbürgerinnen“ und „Wutbürger“ für die Gesellschaft hilfreich?
Jeder Mensch lebt sein eigenes Leben, aber kein Mensch kann es alleine leben. Zur Ausbildung ihrer Individualität sind Menschen auf ein Netz sozialer Beziehungen angewiesen. Schon von Geburt an leben sie in einer sozialen Gruppe, zunächst die Familie, weitere kommen hinzu – die Kindergartengruppe, die Jugendgruppe in der Gemeinde, die Schulklasse, der Sportverein, die Musikschulklasse, die Studiengruppe, der Kollegenkreis, der Freundeskreis und so weiter.In den Gruppen übernimmt das einzelne Individuum verschiedene Rollen, verinnerlicht Werte, Normen und Regeln. In unterschiedlichen Lebenszusammenhängen erfahren Jugendliche, wie eine Gruppe als soziale Gemeinschaft entsteht, sich festigt und entwickelt. Sie können sich in diesen Gemeinschaften austauschen, etwas unternehmen, sich mit Gleichaltrigen und Älteren messen. Im Spiel und in der Auseinandersetzung mit anderen erkunden Kinder und Jugendliche die Welt und erfahren zugleich viel über sich selbst. Die meisten jungen Menschen sind nicht nur mit den eigenen, privaten Problemen befasst, sondern interessieren sich auch für das Gemeindeleben, engagieren sich in Vereinen, in der Schülervertretung, mitunter auch in politischen Verbänden. Sie lernen, dass unser Gemeinwesen auf die Mitarbeit möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist, auf Menschen, die die zu regelnden gesellschaftlichen Dinge in die eigenen Hände nehmen. Dafür sind sie auf Vorbilder angewiesen – in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld: auf Eltern, die ehrenamtlich tätig sind, auf Nachbarn, die sich um Nachbarn kümmern, auf Lehrer, die einschreiten, wenn Schüler gemobbt werden. Die Demokratie ist nichts Selbstverständliches, nichts göttlich Gegebenes, sondern sie muss gelernt und gelehrt werden. Die Schule ist ein idealer Ort, um Fähigkeiten für demokratisches Handeln zu entwickeln und entsprechende Kompetenzen zu erlernen. Gemeinsam an Projekten arbeiten, im Wettstreit Argumente entwickeln und abwägen, Kompromisse erarbeiten – all das sollten schon Schülerinnen und Schüler erlernen.
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