BIELEFELD – Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, hat Kirche und wissenschaftliche Theologie angesichts der Corona-Krise dazu aufgerufen, die Frage nach Gott „zu stellen und diese Frage unermüdlich wachzuhalten.“ „Die Welt braucht von uns die ernsthafte Frage nach Gott. Die Frage wohlgemerkt. Und nicht gleich die verdächtig schnellen Antworten“, sagte die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen in ihrem mündlichen Bericht vor der Landessynode.
Kurschus warnte davor, Gott erklären oder rechtfertigen zu wollen. Es sei eine der schmerzlichsten Erfahrungen des christlichen Glaubens, „dass er aushalten muss, Gott nicht zu verstehen, Gottes Willen nicht einmal mehr zu ahnen und Gottes Handeln nirgends mehr zu erkennen“, sagte sie. Dieser Zumutung nachzuspüren sei Aufgabe von Kirche und Theologie, die sich dazu intensiv miteinander austauschen müssten. Zudem sei es Aufgabe der Kirche, auch in dieser Situation die Hoffnung aufrecht zu halten, dass Gott auch im Unheil anwesend sei und handle. Das käme etwa in den Gottesdiensten zur Sprache, die die Kirche auch im derzeitigen Lockdown anbiete und die „Gelegenheiten zum gemeinsamen Hören und Beten und Schweigen, Orte und Räume des Trostes und der Weisung“ seien.
Kurschus betonte, dass vieles, was das Miteinander im Raum der Kirche präge, im Moment nicht möglich sei. Gerade in dieser Krise habe sie jedoch mit Hochachtung und Respekt wahrgenommen, wie die Menschen in den verschiedenen Bereichen der westfälischen Kirche, von Kirchengemeinden bis hin zu Kitas, Schulen und Diakonie, neu nach ihrem Auftrag gefragt hätten und ihm nachgekommen seien – „ideenreich und engagiert, zum Teil weit über die körperlichen und seelischen Kräfte hinaus“, wie Kurschus formulierte. Dabei seien etwa neue Verkündigungsformate und neue Formen der Seelsorge entstanden, die eine besondere Form von Nähe trotz der gebotenen körperlichen Distanz ermöglicht hätten.
Die Krise nötige die Kirche dazu, sich intensiver als sonst mit sich selbst zu beschäftigen, erklärte die westfälische Präses, und mahnte gleichzeitig, den Blick auch weiterhin auf die gesellschaftlichen und globalen Probleme zu richten, die in Vergessenheit zu geraten drohten. Dazu gehörten die Klimakrise, der wachsende Rassismus und Antisemitismus sowie die Situation von Geflüchteten und Asylbewerberinnen und -bewerbern. Auch die Frage nach gerechter Verteilung von Geld und Ressourcen – etwa einem Impfstoff gegen den Covid-19-Erreger – müsse wach gehalten werden. „Das Virus fordert unseren Willen zur Solidarität und unsere Sehnsucht nach Gerechtigkeit heraus“, sagte Kurschus.
Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen kommt vom 16. bis 19. November zu ihrer Jahrestagung zusammen. Wegen der Corona-Pandemie tagt das Kirchenparlament erstmals als Videokonferenz und nicht wie gewohnt in Bielefeld-Bethel. Auf der Tagesordnung stehen unter anderem Kirchenleitungswahlen und die Verabschiedung des Haushalts. Ein Schwerpunkt der Beratungen ist ein geplantes Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. Damit soll in der viertgrößten deutschen Landeskirche mit 2,2 Millionen Mitgliedern ein umfassendes Schutzkonzept gegen sexuelle Grenzverletzungen und Missbrauch etabliert werden.