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Die Einflüsterer

Über den Predigttext zum Sonntag Invocavit: 1. Mose 3, 1-23

Predigttext (in Auszügen)
1 Die Schlange hatte weniger an, aber mehr drauf als alle anderen Tiere des Feldes (…) und sie sprach zu der Frau: (…) „An dem Tag, an dem ihr von dem Baum esst, werden euch die Augen geöffnet und ihr werdet so wie Gott sein, wissend um Gut und Böse…“ 6 Sie nahm von seiner Frucht und aß. Und sie gab auch ihrem Mann neben ihr. Und er aß. 7 Da wurden beiden die Augen geöffnet, und sie erkannten, dass sie nichts anhatten… 11 Da sprach Gott: „Wer hat dir denn gesagt, dass du nichts anhast? Hast du etwa von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, ja nicht davon zu essen?“ 12 Da antwortete der Mann-Mensch: „Die Frau, die du mir doch an die Seite gegeben hast, die hat mir von dem Baum gegeben. Und da habe ich gegessen.“ …Und die Frau sagte: „Die Schlange hat mich reingelegt, so dass ich gegessen habe.“ 21 Und Adonaj, also Gott, machte selbst für den Menschen als Mann und für seine Frau Gewänder für die Haut und bekleidete sie (…) und schickte (…) sie fort aus dem Garten Eden… (Bibel in gerechter Sprache)

Sie hat weniger an, aber mehr drauf als alle anderen Tiere? Was salopp klingt, ist im Hebräischen ein pfiffiges Wortspiel zweier fast gleichlautender Begriffe. Nackt ist die Schlange und klug – passt das? In unseren Gefilden wird eher für klug, für kompetent gehalten, wer gut angezogen ist. Tadelloser Anzug mit Krawatte, Kostüm mit schlichten Pumps. Im Text gilt: Wer „was drauf hat“, muss sich nicht in Schale werfen. Da genügen Worte.

Die Schlange – eine schillernde Gestalt in dieser Erzählung. Dieses klügste der Tiere flüstert der Menschenfrau ins Ohr: Sieh dich doch an… wer bist du schon?! Und sieh diesen Baum: Wenn du von seinen Früchten isst, wirst du wer sein. Klug sein wie dein Schöpfer. Naaa ?

Und beide, Eva und Adam, greifen zu. Kaum hineingebissen, erschrecken sie: So siehst du aus? So habe ich dich noch gar nicht gesehen. Und, noch schlimmer: Du siehst mich ja auch – ich schäme mich… Und das Feigenblatt verdeckt nur notdürftig, was die beiden bisher noch nicht wussten: Eigentlich sind wir nackt, haben nichts vorzuweisen…

Was mit rhetorischen Mitteln geschickt als gottgleiche Klugheit verkauft worden ist, entpuppt sich als Entdeckung der eigenen Unzulänglichkeiten. Eine Mogelpackung! Und die Freude über ihr Geschaffen-Sein hat neben der Scham keine Chance mehr. Da bleibt nur, sich zu verstecken. Als Gott die beiden findet, wenden sie einen bewährten Trick an: Adam zeigt auf Eva „die war’s“ und diese auf die Schlange „die war’s“. Einer sucht die Schuld beim anderen. Wie heute auf Schulhöfen, in Konzernvorständen, in der Familie.

Auch im bevorstehenden Wahlkampf wird es so sein. Schon jetzt höre ich sie zischeln, die vielen Flüsterstimmen: Achtung, uns droht Überfremdung…Vorsicht vor dem Genderwahnsinn… Der Islam gehört nicht zu Deutschland…Guckt doch, die Flüchtlinge haben sogar Smartphones…die sollen erst mal was leisten…

Viele Stimmen werben um unser Gehör. Und um unser Kreuz auf dem Wahlzettel.
Fest steht: Hinter die einmal erworbene Erkenntnis von Gut und Böse kommen wir nicht mehr zurück. Unsere Unterscheidungsfähigkeit können und sollen wir nutzen.
Fest steht auch: Wir sind verantwortlich für unser Tun. Eva für ihre Entscheidung und Adam für seine. Die beiden als typische Menschen zeigen uns: So sind wir, so ist die Welt, so kommt es zu Beziehungsstörungen, zu Not und Schmerzen. Gott aber will keine Welt, in der sich jemand schämen muss, er will keine Herrschaft über einander, kein Abschieben von Verantwortung, keine Stimmen, die solches propagieren.

Das Paradies ist zwar verloren. Doch es bleibt der Entwurf der Welt, die Gott will. Die er mit uns umsetzen will. Gott hat die Welt, mich und alle Menschen sehr gut geschaffen. Jeder Mensch besitzt als Ebenbild Gottes eine unverlierbare Würde, gleichgültig welcher Nation, Religion oder Kultur er angehört. Jesus lebt uns das vor und ruft uns, diesen Weg zu gehen.

Was hilft, ist hinzuhören. Die Stimmen aufzuspüren, die uns Scham einflößen, die uns gierig machen, die uns einreden wollen, wir seien etwas Besseres. Was wir hören, können wir daraufhin abklopfen – und „Schlangenstimmen“ entschieden in die Wüste schicken. Während dessen machen wir unseren Job: Schenken Leben und bebauen die Erde so, dass jeder auf ihr leben kann.

Die großartige Erzählung vom Paradies wirbt um uns und unser Mittun: Diese Welt soll eine Welt sein, in der sich niemand über den anderen erhebt. In der jeder satt wird. In der jeder „was drauf“ und jeder „was an“ hat.

Außer… ja: außer der Schlange. Amen.