Von Werner Thiede
Fortschritt ist der moderne Mensch gewohnt. Aber mit der „digitalen Revolution“ nimmt das Tempo des Fortschritts um ein Vielfaches zu. Die Dinge verändern sich immer schneller, weil die Geschwindigkeit der Computer wächst und immer unglaublichere Möglichkeiten eröffnet. Dem Moor’schen Gesetz zufolge verdoppelt sich die Rechengeschwindigkeit von Mikroprozessoren alle 18 Monate. Die Technik ermöglicht bald die Digitalisierung vieler Lebensbereiche: Nachdem das Internet dank Mobilfunk „mobil“ und somit allgegenwärtig geworden ist, kann es im Prinzip auf alle computergesteuerten Abläufe zugreifen.Was bedeutet es beispielsweise, wenn bald der Autoverkehr – unter dem Versprechen der größeren Verkehrssicherheit – von digitalen Modulen übernommen wird? Wie versagensanfällig wird die Technik sein? Welche Möglichkeiten bieten sich Hackern oder Terroristen, mit einem Mausklick eine vielbefahrene Kreuzung in ein Chaos zu verwandeln? Und ist es überhaupt sinnvoll, erworbene Fertigkeiten wie das Autofahren nach und nach zu verlernen?Im Bereich der Medizin droht die Digitalisierung auf unseren Leib überzugreifen. Implantierte Funk-Chips können der medizinischen Überwachung von kranken Menschen dienen – aber eben auch der totalen Kontrolle durch die Krankenversicherung. Der Zahlungsverkehr ist bereits auf dem Weg zur totalen Digitalisierung, mit allen Gefahren der Datenmanipulation. Hierbei sind nicht nur die alltäglichen Lebensbereiche im Blick: Es geht bei alledem auch um die „Manipulation der Seele durch eine Art digitale Alchemie“, wie F.A.Z.-Herausgeber Frank Schirrmacher in seinem Buch „EGO“ kritisch bemerkt.
Spätestens damit sind Theologie und Kirche gefragt, wie sie sich zur Zukunft der digitalen Revolution verhalten wollen. Die Übergriffigkeit des Internets auf Leib und Seele, auf die zu bewahrende Schöpfung nimmt bald ein Ausmaß an, das zur Herausforderung fürs christliche Menschen- und Weltbild wird. Was sich als „stille Revolution“ vollzieht, ruft deshalb bei näherer Betrachtung nach lautem Protest: Wo neue Freiheiten mit neuen Unfreiheiten einhergehen, wo technologische Verheißungen sich als Fallen entpuppen und wo neue kulturelle Chancen auf riskanten industriellen Machtspielen beruhen, dürfen Christen nicht einfach schweigen und mit dem digitalen Strom schwimmen. Vier Freiheitsfallen drohen: in den Bereichen der Politik, der Ökologie, der Lebenspraxis und der Spiritualität.
Da ist zunächst die politische Freiheitsfalle mit ihren Unterminierungen von Datenschutz und Datensicherheit. Hierüber wird seit den Offenlegungen Edward Snowdens öffentlich viel diskutiert. So hat kürzlich der Berliner Philosophieprofessor Byung-Chul Han in einem Spiegel-Essay kritisiert, das „Internet der Dinge“ werde die Transparenzgesellschaft vollenden, die ununterscheidbar werde von einer totalen Überwachungsgesellschaft. Das Fatale an der Digitalisierung unserer Kultur sei, dass die verführten Menschen die nebenbei erfolgenden Freiheitsberaubungen freiwillig mitmachten. Han rügt „die freiwillige Ausstellung der Privatsphäre und die digitale Ausleuchtung der Seele“, um festzustellen: „Die Überwachung, die mit der Freiheit zusammenfällt, ist wesentlich effizienter als jene Überwachung, die gegen die Freiheit gerichtet ist.“ (…)
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