Nach dieser Woche wird der Römerbrief unterbrochen. Was haben die ersten elf Kapitel „gebracht“? Was steht nicht im Römerbrief? Es findet sich etwa keine Geschichte aus dem Leben Jesu darin, keine Worte von ihm werden zitiert, keine Taten berichtet. Kannte die römische Gemeinde das alles schon aus mündlicher Tradition? Hat sich erst im Lauf der Zeit, als immer neue Generationen von Kindern den unmittelbaren Zeugen folgten, die Notwendigkeit herausgestellt, das alles aufzuschreiben? Welche Rolle spielte die Naherwartung der Wiederkunft Jesu? Woher bekam man in Rom jenes biblische Grundwissen des ersten Testamentes und erst recht der Jesusgeschichte? Es musste doch so etwas wie eine verbindliche Unterweisung für junge, in Rom geborene Christen geben, damit die verstehen konnten, warum die Zehn Gebote der Tora für sie bindend und deswegen zu wissen notwendig waren. Anders ausgedrückt: Das Ziel der paulinischen Argumentation, nämlich der Schlusssatz 11,32 „Gott hat alle beschlossen unter den Unglauben, auf dass er sich aller erbarme.“, musste von beiden Teilen der Gemeinde begriffen werden, von den im Judentum verwurzelten und von denen, die ohne diese „jüdische Grundausbildung“ hinzugekommen waren. Auch die Neuen sollten also den Anreiz sehen, sich die jüdische Vorgeschichte anzueignen.
Das Verhältnis der Christen zu den Juden hat darum grundsätzlich immer etwas von dem eines Schülers zu seinem Lehrer. Und die Kritik des „Neuen“ an dem „Alten“ bezieht sich nie auf die Inhalte, sondern nur auf die Konsequenzen, also: Gesetz ja, Gesetzlichkeit nein! Diese Differenzierungen müssen heute umso schärfer sein, weil im Rückblick erkennbar ist, wie viel Antisemitismus und völlig unnötige christliche Überheblichkeit sich aus einer unscharfen Einstellung abgeleitet haben. Für die Juden ist die Tora gerade nicht nur quälendes Gesetz, sondern sie zeigt vor allem die freundliche Zuwendung Gottes, die wie in Ägypten aus der Knechtschaft befreit, sie ist also frohe Botschaft!
Eine Zwischenbilanz beim Römerbrief führt nicht zuletzt auch zu aktuellen Fragen der Gerechtigkeit – in der Gesellschaft, aber auch in der Kirche, ihrem Reden und Handeln. Die staunende Demut im abschließenden Lobgesang (11,33ff.) erinnert an Hiob und zeigt die Grenzen menschlichen Denkens vor diesen Geheimnissen Gottes.